Bundesgerichtshof zum Telekom-Verfahren betreffend den „zweiten Börsengang“

Bundesgerichtshof zum Telekom-Verfahren betreffend den „zweiten Börsengang“


Bundesgerichtshof (BGH)
BGH, Beschluss vom 22. November 2016 – XI ZB 9/13

Der u.a. für das gesetzlich geregelte Prospekthaftungsrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Beschluss vom 22. November 2016 über die Rechtsbeschwerden von Anlegern und die Anschlussrechtsbeschwerde der Deutschen Telekom AG gegen den Musterentscheid des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 3. Juli 2013 entschieden.

Gegenstand eines Musterverfahrens nach dem neu geschaffenen Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (KapMuG) sind verallgemeinerungsfähige Vorfragen zu einzelnen Aktionärsklagen. Viele Aktionäre der Deutschen Telekom AG haben massenhaft Klagen erhoben und begehrten im Rahmen eines solchen Musterverfahrens einen Musterentscheid. Veranlasst dazu wurden sie durch einen während des sogenannten „zweiten Börsengangs“ der Deutschen Telekom AG herausgegebenen Verkaufs- und Börsenzulassungsprospekt. Im Mittelpunkt des Verfahrens stand dabei seine (Un-)Richtigkeit.

Auf Grundlage dieses Prospekts wurden im Jahr 1999 u.a. 250 Millionen neue Stückaktien aus einer im Juni 1999 erfolgten Kapitalerhöhung zum Börsenhandel zugelassen und von der Deutschen Telekom AG öffentlich zum Verkauf angeboten. Zudem diente der Prospekt dazu, über 1,7 Milliarden Aktien aus dem Bestand der Bundesrepublik Deutschland und der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zum Börsenhandel zuzulassen. Nachdem der Kurs der Aktien stark gefallen war, kam es ab dem Jahr 2001 zu zahlreichen Klagen gegen die Deutsche Telekom AG, die Bundesrepublik Deutschland, die KfW und einen Teil der Konsortialbanken.

Im Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main haben der Musterkläger und die auf seiner Seite Beigeladenen eine Vielzahl von Prospektfehlern geltend gemacht. Die Musterbeklagten – die Deutsche Telekom AG, die Bundesrepublik Deutschland, die KfW und eine in den Ausgangsverfahren verklagte Konsortialbank – haben das Vorliegen eines Prospektfehlers in Abrede gestellt und sich auf Verjährung berufen. Das Oberlandesgericht hat über die ihm durch den Vorlagebeschluss des Landgerichts vorgelegten Fragen und über die mit Erweiterungsbeschluss des Oberlandesgerichts einbezogenen Feststellungsziele durch Musterentscheid vom 3. Juli 2013 entschieden.

Einen Prospektfehler hat es nicht festgestellt. Feststellungen hat es lediglich zu Teilaspekten, wie zur Prospektverantwortlichkeit der Deutschen Telekom AG, zu Verjährungsfragen, zur Darlegungs- und Beweislast und zum Adressatenkreis des Prospekts getroffen. Im Übrigen hat es die beantragten Feststellungen nicht getroffen.  Gegen den Musterentscheid haben 36 Beigeladene Rechtsbeschwerde eingelegt. Der XI. Zivilsenat hat entschieden, dass das Oberlandesgericht die gerügten Prospektfehler zu Recht verneint hat.

Insbesondere berichtet der Prospekt zutreffend und vollständig über das Immobilienvermögen der Deutschen Telekom AG mit mehr als 12.000 Grundstücken und etwa 33.000 baulichen Anlagen. Aufgrund einer umfassenden tatrichterlichen Würdigung ist das Oberlandesgericht rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Wert des Immobilienvermögens im Prospekt nicht wesentlich zu hoch angegeben worden war.

Der Prospektfehler, den der XI. Zivilsenat in dem anlässlich des „dritten Börsengangs“ der Deutschen Telekom AG im Jahr 2000 herausgegebenen Verkaufsprospekt festgestellt hat (Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2014 – XI ZB 12/12, BGHZ 203, 1; vgl. Pressemitteilung Nr. 186/2014), betraf einen zeitlich nachfolgenden Geschäftsvorfall, der im hier verfahrensgegenständlichen Prospekt zum „zweiten Börsengang“ noch keine Rolle spielte.

Damit steht für alle Ausgangsverfahren bindend fest, dass aus den betreffend den Prospekt des „zweiten Börsengangs“ gerügten Unvollständigkeiten und Unrichtigkeiten keine Prospekthaftungsansprüche gemäß §§ 45 ff. BörsG aF i.V.m. § 13 VerkProspG aF und keine deliktischen Schadensersatzansprüche hergeleitet werden können. Auf weitere Fragen zur Darlegungs- und Beweislast, zur Verjährung, zum Adressatenkreis des Prospekts und zur Aktivlegitimation, die dem Oberlandesgericht zur Vorabentscheidung vorgelegt worden waren und zu denen es ebenfalls Feststellungen getroffen hat, wird es in den Ausgangsverfahren daher nicht mehr entscheidungserheblich ankommen. Aus diesem Grunde hat der XI. Zivilsenat die dazu getroffenen Feststellungen auf die Rechtsbeschwerden der Beigeladenen und die Anschlussrechtsbeschwerde der Deutschen Telekom AG aufgehoben und den Vorlagebeschluss insoweit für gegenstandslos erklärt.

Kategorie: Bank- und Kapitalmarktrecht, Prospekthaftung, 09. Februar 2017

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