Auslegung von Bauvertragsklauseln über die Ausführungszeit für die Entbehrlichkeit einer Mahnung für bauvertragliche Schadensersatzansprüche
Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken
Urteil vom 11.10.2023 – 2 U 196/22
Das OLG Saarbrücken hat entschieden, dass eine Klausel, die vorsieht, dass die Ausführungszeit zwölf Monate beträgt und vier Wochen nach Erteilung der Baugenehmigung, spätestens vier Wochen nach Abruf der Leistung durch den Bauherrn beginnt, keine den Anforderungen des § 286 Absatz 2 Nummer 2 BGB genügende Leistungszeitbestimmung für die Entbehrlichkeit einer Mahnung beinhaltet.
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Mit schriftlichem Vertrag vom 22. Oktober 2015 beauftragte der Beklagte die Klägerin mit der schlüsselfertigen Errichtung eines Mehrfamilienhauses. In § 4 des Vertrages wurde festgelegt, dass die Ausführungszeit zwölf Monate beträgt und vier Wochen nach Erteilung der Baugenehmigung, spätestens vier Wochen nach Abruf der Leistung durch den Bauherrn beginnt. Die Baugenehmigung für das Bauvorhaben wurde am 1. März 2016 erteilt. Nach Baubeginn schlossen die Parteien am 12. April 2017 einen weiteren Vertrag über die Erweiterung des Mehrfamilienhauses. Hintergrund dessen war, dass ein ursprünglich zu erhaltendes Bestandsgebäude nunmehr abgerissen werden und das im ersten Bauabschnitt zu errichtende Gebäude um acht Wohnungen erweitert werden sollte. In § 4 des Vertrages vom 12. April 2017 wird wortgleich zu dem ersten Vertrag festgelegt, dass die Ausführungszeit zwölf Monate beträgt und vier Wochen nach Erteilung der Genehmigung, spätestens vier Wochen nach Abruf der Leistung durch den Bauherrn beginnt. Der Bauschein hierfür wurde am 2. Januar 2017 erteilt. Die Leistungen der Klägerin wurden durch den Beklagten am 18. September 2018 unter Vorbehalt verschiedener Mängel abgenommen. Die danach noch verbleibenden restlichen Arbeiten wurden bis zum 22. November 2018 ausgeführt. Die bauausführende Klägerin erteilte dem Beklagten nach Baufortschritt Rechnungen, wobei mehrere Rechnungen aus dem Zeitraum Februar bis Juni 2018 über einen Gesamtbetrag von 187.422,46 € offen blieben. Mit anwaltlichem Schreiben vom 27./29. November 2018 mahnte die Klägerin eine Forderung in Höhe von 185.000 € unter Fristsetzung zum 4. Dezember 2018 zur Zahlung an. Mit der Klage vor dem Landgericht (LG) hat die Klägerin den Beklagten auf Zahlung eines Betrags von 187.422,46 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten in Anspruch genommen. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat sich auf ihm zustehende Gegenforderungen bezogen, mit denen er gegenüber der Klageforderung die Aufrechnung erklärt. Er macht dabei geltend, dass ihm mit Blick auf die nicht innerhalb der vertraglichen Fristen vereinbarte Fertigstellung diverse Schäden entstanden seien. Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass kein verbindlicher Leistungstermin vereinbart gewesen sei. Darüber hinaus hat sie einen eigenen Leistungsverzug mit der Begründung in Abrede gestellt, dass sich der Beklagte mit der Zahlung der vertraglichen Abschlagszahlungen fortlaufend in Verzug befunden habe. Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben und den Beklagten unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von 186.822,46 € nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten zu zahlen. Dem Beklagten stünden keine Gegenforderungen zu. Ein Schadensersatzanspruch wegen einer der Klägerin zuzurechnenden Verzögerung der Fertigstellung scheitere an einer verzugsbegründenden Mahnung durch den Beklagten.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten. Ohne Erfolg.
Der Beklagte ist der Auffassung, die Regelung zur Ausführungszeit in § 4 der Bauverträge beinhalte fixe Ausführungsfristen, sodass eine Mahnung seinerseits nicht erforderlich gewesen sei. Die Klägerin macht weiterhin geltend, dass ein konkretes Fertigstellungsdatum nicht durch § 4 der Verträge vereinbart gewesen sei.
Das OLG Saarbrücken ist der Auffassung, das Landgericht habe im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Beklagten gegen die bauausführende Klägerin auf Ersatz diverser Schäden aus §§ 280 Absatz 1 und 2 in Verbindung mit 286 BGB verneint: Selbst wenn zu Gunsten des Beklagten unterstellt würde, dass ausgehend von den Daten der Baugenehmigungen die Leistungen der Klägerin zum 31. März 2017 bzw. zum 31. Januar 2018 fällig waren, fehle es an den Voraussetzungen des Verzugs der Klägerin.
Nach § 286 Absatz 1 Satz 1 BGB bedürfe es für die Inverzugsetzung des Schuldners einer fälligen Leistung grundsätzlich einer Mahnung, die vorliegend durch den Beklagten zu keinem Zeitpunkt ausgesprochen worden sei. Der Beklagte habe zwar mit der Berufung vorgetragen, dass er in mündlichen Besprechungen bei der Klägerin nachgefragt habe, wann die Leistungen endlich fertiggestellt würden, was als mündliche Mahnung aufgefasst werden möge. Dieser Vortrag sei allerdings – ungeachtet der Frage, ob er überhaupt nach § 529 Absatz 1 ZPO berücksichtigungsfähig ist – nicht geeignet, eine Mahnung schlüssig darzutun. Eine solche setze eine eindeutige und bestimmte Leistungsaufforderung nach Fälligkeit (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 1992 – XII ZR 105/91, NJW 1992, 1956) voraus.
Nach § 286 Absatz 2 Nummer 1 BGB bedürfe es der Mahnung zwar nicht, wenn für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist. Nach dem Kalender bestimmt sei der Fälligkeitstag, wenn ein Kalendertag unmittelbar oder jedenfalls mittelbar festgelegt ist, also zum Zeitpunkt der Vereinbarung der konkrete Kalendertag objektiv feststeht. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall schon deshalb nicht erfüllt, da nach § 4 der zwischen den Parteien geschlossenen Verträge der Beginn der zwölf Monate betragenden Ausführungsfrist an ein Ereignis (Erteilung der Baugenehmigung bzw. Abruf durch den Bauherrn) geknüpft war, dessen Eintritt zeitlich bei Vertragsschluss noch ungewiss war.
Eine Mahnung sei entgegen der vom Beklagten vertretenen Auffassung im vorliegenden Fall auch nicht nach § 286 Absatz 2 Nummer 2 BGB entbehrlich gewesen. Nach dieser Regelung bedürfe es der Mahnung nicht, wenn der Leistung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die Leistung in der Weise bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt. Ereignis im Sinne von § 286 Absatz 2 Nummer 2 BGB könne dabei sowohl die Handlung einer Vertragspartei als auch ein außervertraglicher Umstand sein, sodass von der Regelung grundsätzlich die Fälle erfasst würden, in denen die Werkleistung innerhalb bestimmter Fristen nach Abruf durch den Besteller oder nach Eintreten eines sonstigen Umstandes, z. B. der Erteilung der Baugenehmigung, begonnen bzw. fertiggestellt werden soll. Voraussetzung sei allerdings, dass die Ausführungsfristen eindeutig vereinbart sind, denn der Verzugseintritt sei ohne vorherige Mahnung sogleich mit der Fälligkeit der Leistung nur dann gerechtfertigt, wenn der Schuldner genau weiß, wann er zu leisten hat. Daraus ergebe sich zugleich, dass der Vorschrift nur die Fälle zuzuordnen sind, in denen der Kalendertag für die Leistung über ein konkret bestimmtes Ereignis fest bezeichnet ist. Ein Fertigstellungstermin „acht Monate nach Baugenehmigung“ sei in diesem Zusammenhang als hinreichend bestimmte Ereignisfrist im Sinne von § 286 Absatz 2 Nummer 2 BGB anzusehen, da Anknüpfungspunkt für den Fristbeginn die Erteilung der Baugenehmigung als solche und nicht etwa deren Übergabe an die Auftragnehmerin sei (BGH, Urteil vom 5. November 2015 – VII ZR 43/15, NZBau 2016, 93, 95 Rn. 26). Demgegenüber seien mit „oder“ bzw. „und/oder“ verknüpfte Sachverhalte in Allgemeinen Geschäftsbedingungen als nicht hinreichend klar zur Bezeichnung des vertraglichen Fertigstellungstermins anzusehen. Nach Maßgabe dieser Grundsätze fehle es im vorliegenden Fall an der hinreichenden Bestimmtheit der vertraglichen Regelungen zum Fristbeginn. Zwar werde in § 4 des Bauvertrags zunächst für den Fristbeginn an die Erteilung der Baugenehmigung angeknüpft, was für sich genommen den Anforderungen eines Ereignisses im Sinne von § 286 Absatz 2 Nummer 2 BGB genügen würde. Danach hätte die Ausführungsfrist vier Wochen nach Erteilung der Baugenehmigung begonnen. Indessen sehe die zwischen den Parteien getroffene vertragliche Regelung weiter vor, dass alternativ der Auftraggeber über den Beginn der Ausführungsfrist entscheidet. Diese Regelung könne nur dahin verstanden werden, dass der Auftraggeber durch einen späteren Abruf der Leistung den Ausführungsbeginn und damit auch das Ende der Ausführungsfrist hinauszögern kann, sodass zu dem maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses der Leistungszeitpunkt nicht – auch nicht mittelbar über den Eintritt eines bestimmten Ereignisses – feststand.
Kategorie: Bau- und Architektenrecht, 04. April 2024
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