Beschränkter Vergütungsanspruch beim vorzeitig gekündigten Ingenieurvertrag

Beschränkter Vergütungsanspruch beim vorzeitig gekündigten Ingenieurvertrag


Bundesgerichtshof (BGH)

Urteil vom 17.11.2022 – VII ZR 862/21

Der BGH hat entschieden, dass bei der Kündigung eines Architekten- oder Ingenieurvertrags gemäß § 648 Satz 1 BGB durch einen Besteller, dem bei weiterer Durchführung des Vertrags ein Sonderkündigungsrecht gemäß § 650r Absatz 1 BGB zugestanden hätte, der Anspruch des Unternehmers gemäß § 648 Satz 2 BGB hinsichtlich nicht erbrachter Leistungen grundsätzlich nicht die Vergütung für Leistungen umfasse, die nach einer Vorlage der Planungsgrundlage mit einer Kosteneinschätzung zur Zustimmung gemäß § 650p Absatz 2 BGB zu erbringen gewesen wären.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin ist Ingenieurin und schloss mit der beklagten Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) einen schriftlichen HOAI-Vertrag über Planungsleistungen im Zusammenhang mit dem Neubau eines Bürogebäudes. Die Klägerin nahm ihre Tätigkeit auf und übersandte der Beklagten zeitgleich sowohl eine Honorarabschlagsrechnung, als auch einen Satz von ihr bis zu dem Zeitpunkt erstellter Planungsunterlagen, die der Beklagten zuvor als Vorabzug übermittelt wurden. Darunter insbesondere Unterlagen, die von der Klägerin als „Checkliste – Leistungsphase 1 – Grundlagenermittlung“ überschrieben waren und einzelne planerische Vorgaben enthielten, die von der Beklagten bereits abgezeichnet waren. Die Beklagte beanstandete die erbrachten Leistungen und kündigte den Vertrag fristlos.

Die Klägerin macht nunmehr im Klagewege Honorar für bereits erbrachte Leistungen der Leistungsphase 2 und restliche Vergütung für noch nicht erbrachte Leistungen bis einschließlich Leistungsphase 5 geltend. Das Landgericht (LG) verurteile die Beklagte antragsgemäß. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Die Kündigung der Beklagten sei dahingehend auszulegen, diese habe das Vertragsverhältnis jedenfalls auch im Wege einer sogenannten freien Kündigung gemäß §§ 650p Absatz 1 in Verbindung mit § 648 Satz 1 BGB beenden wollen. Ein für die Beklagte günstigeres Kündigungsrecht habe ihr nicht zugestanden. Insbesondere hätten die Voraussetzungen für eine Kündigung nach § 650r Absatz 1 Satz 1 BGB nicht vorgelegen.

Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten. Mit Erfolg.

Nach Auffassung des BGH habe die Klägerin dem Grunde nach zwar einen Anspruch gemäß §§ 650q in Verbindung mit 631 Absatz 1, 648 Satz 2 BGB auf die geforderte Vergütung. Die Kündigung der Beklagten sei als freie Kündigung zu werten, ihr habe kein Sonderkündigungsrecht gemäß § 650r Absatz 1 BGB zugestanden. Das Berufungsgericht habe rechtsfehlerfrei angenommen, dass es keine von § 650r Absatz 1 Satz 1 BGB vorausgesetzte Vorlage von Urkunden gemäß § 650p Absatz 2 BGB zur Zustimmung gegeben habe; es habe jedenfalls an der Vorlage einer Kosteneinschätzung gefehlt, die gemäß § 650p Absatz 2 Satz 2 BGB als wesentlich vorausgesetzt wird.

Jedoch sei die zugesprochene Höhe der vereinbarten Vergütung fehlerhaft im Sinne des § 648 Satz 2 BGB. Das Gericht habe bei der Berechnung der Vergütung diejenigen nicht erbrachten Leistungen der Klägerin nicht berücksichtigen dürfen, die nach einer Vorlage der Planungsgrundlage mit einer Kosteneinschätzung zur Zustimmung gemäß § 650p Absatz 2 Satz 2 BGB zu erbringen gewesen wären. Die vereinbarte Vergütung betreffe hinsichtlich der nicht erbrachten Leistungen nur solche, für die ohne die Kündigung voraussichtlich eine Vergütung verdient worden wären. Dies ergebe sich aus dem Sinne des § 648 Satz 2 BGB, der als Ausgleich für die freie Lösungsmöglichkeit des Bestellers vom Vertrag verhindern will, dass dem Unternehmer Vorteile aus dem geschlossenen Vertrag genommen werden. Dagegen verfolge § 648 Satz 2 BGB nicht das Ziel dem Unternehmer zu ermöglichen, Vorteile aus der Kündigung zu ziehen.

Kündigt ein Auftraggeber von Planungsleistungen den Ingenieurvertrag in der Zielfindungsphase, ohne dass ihm die Unterlagen zur Planungsgrundlage mit einer Kosteneinschätzung nach § 650p Absatz 2 Satz 2 vorgelegt worden sind, kann er sich nicht auf das Sonderkündigungsrecht des § 650r Absatz 1 Satz 1 BGB berufen und muss sich an den Regeln der freien Kündigung festhalten lassen. Der Planer, der in einem solchen Fall die vereinbarte Vergütung im Sinne von § 648 Satz 2 BGB geltend macht, kann aber nur solche nicht erbrachten Leistungen abrechnen, für die ohne die Kündigung voraussichtlich eine Vergütung verdient worden wäre. Es spreche nichts dafür, dass der Auftragnehmer Vorteile aus einer vorzeitigen freien Kündigung des Auftraggebers ziehen dürfen sollte, die ihm bei Ausübung des Sonderkündigungsrechts nicht zustehen würden.

Das führe bei einem Architekten- oder Ingenieurvertrag, bei dem wesentliche Planungs- und Überwachungsziele im Sinne des § 650p Absatz 2 BGB bei Vertragsschluss noch nicht vereinbart seien und dem Besteller ein Sonderkündigungsrechtgemäß § 650r Absatz 1 BGB zustehe dazu, dass der Anspruch gemäß § 648 Satz 2 BGB hinsichtlich nicht erbrachter Leistungen grundsätzlich nicht die Vergütung für Leistungen, die nach einer Vorlage der Planungsgrundlage mit einer Kosteneinschätzung zur Zustimmung gemäß § 650p Absatz 2 Satz 2 BGB zu erbringen gewesen wären, umfasse.

Der Revision sei stattzugeben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Kategorie: Bau- und Architektenrecht, 01. Februar 2023



zurück