BGH: „Ewiges Rücktrittsrecht“ auch bei Lebens- und Rentenversicherungen nach dem „Antragsmodell“

BGH: „Ewiges Rücktrittsrecht“ auch bei Lebens- und Rentenversicherungen nach dem „Antragsmodell“


Der u. a. für das Versicherungsrecht zuständige IV. Senat des Bundesgerichtshofs hat mit Urteil vom 17. Dezember 2014 entschieden, dass die Vorschrift des § 8 Abs. 5 Satz 4 VVG a. F., wonach ein Rücktrittsrecht spätestens 1 Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie erlischt, auch auf Lebens- und Rentenversicherungen nach dem sog. „Antragsmodell“ unanwendbar ist.

Bereits im Mai 2014 hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass Versicherungs­nehmern ein unbefristetes Widerspruchsrecht zusteht, wenn diese nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt worden sind. Dies betraf Verträge, die zwischen 1994 und Ende 2007 im Rahmen des sog. „Policenmodells“ abgeschlossen wurden. Im Rahmen des Policenmodells erhält der Versicherungsnehmer erst mit dem Versicherungs­schein alle notwendigen Unterlagen.

Nun hat der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs diese Grundsätze auch auf  Verträge übertragen, die zwischen 1994 und Ende 2007 im sog. „Antragsmodell“ abgeschlossen wurden. Beim Antragsmodell liegen dem Versicherungsnehmer die Versicherungs­­­bedingungen und die Verbraucher­­informationen bereits bei Antragstellung  vor. Daher spricht man in einem solchen Fall nicht von einem Widerrufs- aber von einem Rücktrittsrecht. Für Verträge zwischen dem 29. Juli 1994 und dem 8. Dezember 2004 betrug das Rücktrittsrecht 14 Tage, ab dem 08. Dezember 2014 30 Tage. Wurde über dieses Rücktrittsrecht nicht ordnungsgemäß belehrt, so erlosch das Recht zum Rücktritt gem. § 8 Abs. 5 Satz 4 VVG a. F. automatisch einen Monat nach Zahlung der ersten Prämie. Diese Befristung hat der BGH nun für unwirksam erklärt, mit der Folge, dass Versicherungs­nehmer, die nicht ordnungsgemäß über das Rücktrittsrecht belehrt wurden, auch heute noch zurücktreten können.

Die im Antragsformular enthaltene Belehrung sei nicht ausreichend drucktechnisch hervorgehoben und könne deshalb die Rücktrittsfrist des § 8 Abs. 5 Satz 1 VVG a.F. nicht wirksam in Lauf setzen. Zwar sei eine drucktechnische Hervorhebung der Belehrung vom Wortlaut des § 8 Abs. 5 VVG a.F. nicht ausdrücklich vorausgesetzt. Der Senat habe aber bereits zu § 8 Abs. 4 VVG a.F. klargestellt, dass die Belehrung zur Erreichung ihres gesetzlichen Zweckes inhaltlich möglichst umfassend, unmissverständlich und aus Sicht der Verbraucher eindeutig sein müsse. Das erfordere eine Form der Belehrung, die dem Aufklärungsziel Rechnung trägt und darauf angelegt ist, den Angesprochenen aufmerksam zu machen und das maßgebliche Wissen zu vermitteln. Die der Klägerin gegebene Belehrung genüge diesen Anforderungen nicht. Sie ist inmitten eines Textblockes abgedruckt, der weitere Informationen, unter anderem über die Ermächtigung zur Entbindung von der Schweigepflicht, zur Datenverarbeitung und zum Widerspruch in der Unfallversicherung, enthält. Innerhalb dieses Textblockes ist der Hinweis auf das Rücktrittsrecht in keiner Weise drucktechnisch hervorgehoben. Der gesamte Textblock ist vielmehr fettgedruckt. Weder der Fettdruck noch die Stellung der Belehrung im Antragsformular würdem daher ausreichen, um eine Kenntnisnahme des Versicherungsnehmers hiervon zu gewährleisten. Schon wegen dieses Formmangels der Belehrung könne die Rücktrittsfrist nach § 8 Abs. 5 Satz 3 VVG a.F. nicht zu laufen beginnen. Demnach komme es auf inhaltlichen Defizite der konkreten Widerrufsbelehrung nicht mehr an.

Eine vorangegangene Kündigung des Versicherungsvertrages stehe einem späteren Rücktritt zudem nicht entgegen.

BGH, Urteil vom 17. Dezember 2014 – IV ZR 260/11

 

Kategorie: Versicherungsrecht, 18. Dezember 2014

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