BGH: Sorgfältige Sachverhaltsaufklärung der Härtefälle bei Eigenbedarf zwingend angezeigt
Bundesgerichtshof (BGH)
Urteile vom 22. Mai 2018 – VIII ZR 180/18 und VIII ZR 167/17
Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des BGH präzisierte in den obigen zwei Entscheidungen seine Rechtsprechung zu der Frage, wann ein Mieter nach einer ordentlichen Kündigung die Fortsetzung des Mietverhältnisses wegen unzumutbarer Härte verlangen kann (§ 574 Abs. 1 und Abs. 2 BGB).
In den beiden Verfahren erhoben die Vermieter jeweils eine Räumungsklage gegen die Mieter, nachdem eine Eigenbedarfskündigung ausgesprochen worden war. Die Mieter widersprachen der Eigenbedarfskündigungen und begründeten ihre Widersprüche mit Härtefällen.
Die Vorinstanzen wiesen in beiden Fällen die Räumungsklagen ab. Die Eigenbedarfskündigung der Vermieter sei zwar wirksam gewesen, aufgrund vorliegender Härtefälle seien aber die Mietverhältnisse der Parteien auf unbestimmte Zeit fortzusetzen.
Der BGH hat in beiden Verfahren die Berufungsurteile aufgehoben und die Sachen zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen, insbesondere zum Bestehen von Härtegründen.
Da sowohl auf Seiten des Vermieters wie auf Seiten des Mieters grundrechtlich geschützte Belange (Eigentum, Gesundheit) betroffen seien, seien eine umfassende Sachverhaltsaufklärung sowie eine besonders sorgfältige Abwägung erforderlich, ob im jeweiligen Einzelfall die Interessen des Mieters an der Fortsetzung des Mietverhältnisses diejenigen des Vermieters an dessen Beendigung überwiegen.
Allgemeine Fallgruppen, etwa ein bestimmtes Alter des Mieters oder eine bestimmte Mietdauer, in denen generell die Interessen einer Partei überwiegen, lassen sich – entgegen einer teilweise bei den Instanzgerichten anzutreffenden Tendenz – nicht bilden.
So würden sich etwa die Faktoren Alter und lange Mietdauer mit einer damit einhergehenden Verwurzelung im bisherigen Umfeld je nach Persönlichkeit und körperlicher sowie psychischer Verfassung des Mieters unterschiedlich stark auswirken und würden deshalb ohne weitere Feststellungen zu den sich daraus ergebenden Folgen im Fall eines erzwungenen Wohnungswechsels grundsätzlich nicht die Annahme einer Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB rechtfertigen.
Würden von dem Mieter für den Fall eines erzwungenen Wohnungswechsels indes substantiiert ihm drohende schwerwiegende Gesundheitsgefahren geltend gemacht, hätten sich die Gerichte beim Fehlen eigener Sachkunde regelmäßig mittels sachverständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon zu verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen mit einem Umzug verbunden seien, insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen voraussichtlich erreichen würden und mit welcher Wahrscheinlichkeit dies eintreten könne.
Diese Rechtsprechung hat der Senat nunmehr dahingehend präzisiert, dass ein Sachverständigengutachten regelmäßig von Amts wegen einzuholen sein werde, wenn der Mieter eine zu besorgende Verschlechterung seines Gesundheitszustandes durch ärztliches Attest belegt habe.
Auf diese Weise sei zu klären, an welchen Erkrankungen der betroffene Mieter konkret leide und wie sich diese auf seine Lebensweise und Autonomie sowie auf seine psychische und physische Verfassung auswirken.
Dabei sei auch von Bedeutung, ob und inwieweit sich die mit einem Umzug einhergehenden Folgen mittels Unterstützung durch das Umfeld beziehungsweise durch begleitende ärztliche und/oder therapeutische Behandlungen mindern lassen. Nur eine solche Aufklärung versetze die Gerichte in die Lage, eine angemessene Abwägung bei der Härtefallprüfung vorzunehmen.
Kategorie: Mietrecht, 23. Mai 2019
Ansprechpartner:
- Atif Yildirim
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