BGH: Verletzung des rechtlichen Gehörs bei der Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners

BGH: Verletzung des rechtlichen Gehörs bei der Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners


Bundesgerichtshof (BGH)
Beschluss vom 21.05.2019 –  II ZR 337/17

Der II. Zivilsenat des BGH hatte erst vor kurzem über den folgenden Sachverhalt zu entscheiden:

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH (im Folgenden: Schuldnerin). Er machte gegen die Beklagten als Geschäftsführer unter anderem Ansprüche wegen von der Schuldnerin im Jahr 2010 und somit nach der Insolvenzreife geleisteten Zahlungen über mehrere hundert tausend Euro an verschiedene Gläubiger geltend. Das LG gab der Zahlungsklage des Insolvenzverwalters statt.

Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen.

Das Berufungsgericht ging davon aus, dass die Schuldnerin bereits seit dem Jahr 2009 zahlungsunfähig war. Bei dieser Beurteilung stützte sich das Berufungsgericht im Wesentlichen auf Verbindlichkeiten der Schuldnerin gegenüber einer anderen GmbH, die für ein Projekt der Schuldnerin VDSL Schnittstellen und Schaltkästen liefern sollte. Die Lieferung der Gehäuse und der Einbau der Technik erfolgten bis Oktober 2009. In dem Vertrag zwischen den beiden GmbH war ausdrücklich geregelt, dass eine Abnahme der Leistungen nicht stattfindet. Die Abnahme sollte spätestens vier Wochen nach der Installation des jeweiligen Liefergegenstandes als erfolgt gelten, sofern die Lieferantin die Verzögerung nicht zu verantworten hat. Die Lieferantin stellte sodann im September und Oktober 2009 mehrere Rechnungen.

Nach dem Berufungsgericht sei die Schuldnerin im November 2009 zahlungsunfähig gewesen, weil angesichts der zu diesem Zeitpunkt fälligen Rechnungen der Lieferantin eine Zahlungseinstellung im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO vorgelegen habe. Die Forderungen seien auch ernsthaft eingefordert worden. Die Fälligkeit ergebe sich aufgrund der im Vertrag vereinbarten Abnahmefiktion. Die Vereinbarung einer Stundung der Forderungen sei nicht substantiiert dargelegt.

Die Beklagten behaupten, die in den Rechnungen ausgewiesenen Forderungen seien zum Zeitpunkt der vom Kläger beanstandeten Zahlungen noch nicht fällig gewesen. Mit der Beschwerde wandten sich die Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision. Die Beschwerde der Beklagten hatte Erfolg. Der BGH begründete seine Entscheidung wie folgt:

Das Berufungsgericht habe bei der Feststellung des Zeitpunkts der Zahlungsunfähigkeit in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt (§ 544 Abs. 7 ZPO). Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichte das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Ein Verstoß gegen Art.103 Abs.1 GG setze voraus, dass im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden sei.

Gehe das Berufungsgericht in den Gründen des Berufungsurteils auf den wesentlichen Kern des Vorbringens einer Partei zu einer Frage nicht ein, das für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, so lasse dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert sei. Nach diesen Maßstäben sei Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt.

Das Berufungsgericht habe sich bei der Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin und die dafür maßgebliche Frage der Fälligkeit der Verbindlichkeiten der Schuldnerin allein auf die im Vertrag fingierte Abnahme gestützt und sei bei dieser zentralen Frage weder auf die Regelung selbst in ihrem ganzen Gehalt noch auf den wesentlichen Vortrag der Beklagten dazu eingegangen.

Die Beklagten haben vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass die Fälligkeit der Forderungen für Leistungen aus dem Vertrag nach dessen Abnahmefiktion davon abgehangen habe, dass nach dem Einbau der aktiven Technik eine Einbindung der Technik in das Netz der Schuldnerin und die Inbetriebnahme der Schaltkreise erfolge, was aus von der Lieferantin zu vertretenden Umständen erst im Jahr 2010 geschehen sei. Weiter haben die Beklagten darauf hingewiesen, die zeitlich nach vier Wochen fingierte Abnahme setze voraus, dass die Lieferantin Verzögerung der netztechnischen Anmeldung nicht zu verantworten habe.

Die Lieferantin habe sich daher in Lieferverzug befunden, was ihr auch bekannt gewesen sei. Die Rechnungen vom September und Oktober 2009 seien nur deshalb bereits zu diesem Zeitpunkt gestellt worden, damit die kommunalen Auftraggeber der Schuldnerin für das laufende Jahr ihre Fördergelder hätten erlangen können. Es habe Einverständnis mit der Lieferantin darüber bestanden, dass diese Rechnungen jedenfalls bis einschließlich März 2010 nicht fällig seien.

Auf diesen wesentlichen und beweisbewehrten Sachvortrag der Beklagten gehe das Berufungsgericht in seinem Kern nicht ein, wenn es zunächst die entscheidende Vereinbarung verkürzt wiedergebe und auf ihren ganzen Inhalt nicht eingehe, obwohl die Beklagten auf den vollständigen Wortlaut der Regelung ausdrücklich hingewiesen und zur von der Lieferantin zu verantwortenden Verzögerung unter Benennung von Zeugen vorgetragen hätten.

Der Gehörsverstoß sei für die Entscheidung auch aus der maßgeblichen Sicht des Berufungsgerichts erheblich. Hätte das Berufungsgericht diesen Vortrag bei seiner Entscheidung berücksichtigt und die angebotenen Beweise gegebenenfalls erhoben, sei nicht auszuschließen, dass es zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass die von ihm für die Zahlungseinstellung für entscheidend erachteten Forderungen aus den Rechnungen vom September und Oktober 2009 bis März 2010 nicht fällig waren.

Kategorie: Prozessrecht, 04. Juli 2019



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