Bundesgerichtshof entscheidet über die Wirksamkeit einer Widerrufsbelehrung bei einem Präsenzgeschäft

Bundesgerichtshof entscheidet über die Wirksamkeit einer Widerrufsbelehrung bei einem Präsenzgeschäft


Bundesgerichtshof (BGH)
BGH, Urteil vom 21. Februar 2017 – XI ZR 381/16

Der für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21.02.2017 darüber entschieden, welche Bedeutung den besonderen Umständen der konkreten Vertragssituation bei der Bewertung von Widerrufsbelehrungen zukommt.

Sachverhalt:
Die Kläger verlangen nach Widerruf ihrer auf Abschluss eines Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung die Erstattung der von ihnen gezahlten Vorfälligkeitsentschädigung. Sie schlossen mit der Beklagten am 15. Februar 2006 zur Finanzierung einer Immobilie einen Verbraucherdarlehensvertrag über nominal 106.000 € mit einer Laufzeit von zehn Jahren. Der Vertragsabschluss gestaltete sich so, dass ein Mitarbeiter der Beklagten und die Kläger – alle drei zeitgleich an einem Ort anwesend – die den Klägern erstmals vorgelegten schriftlichen Vertragsunterlagen unterzeichneten. Dem Darlehensvertrag war eine Widerrufsbelehrung beigefügt, die unter anderem folgenden Passus enthielt:

 „Der Lauf der Frist für den Widerruf beginnt einen Tag[,] nachdem Ihnen

– eine Ausfertigung dieser Widerrufsbelehrung und

– die Vertragsurkunde, der schriftliche Vertragsantrag oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder des Vertragsantrags zur Verfügung gestellt wurden“.

Im Herbst 2014 wollten die Kläger die finanzierte Immobilie verkaufen. Deshalb traten sie an die Beklagte heran, um das Darlehen vorzeitig abzulösen. Die Beklagte machte den Abschluss einer „Aufhebungsvereinbarung“ von der Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 4.569,82 € abhängig. Die Kläger gaben eine darauf gerichtete Willenserklärung am 21. Oktober 2014 „unter dem Vorbehalt einer Überprüfung des geschlossenen Darlehensvertrages einschließlich der Widerrufsbelehrung“ ab. Sie entrichteten die von der Beklagten beanspruchte Vorfälligkeitsentschädigung. Am 21. November 2014 widerriefen sie ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung.

Vorinstanzen:
Das Amtsgericht Krefeld hat die Klage auf Erstattung der Vorfälligkeitsentschädigung und vorgerichtlicher Anwaltskosten abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung hat das Landgericht Krefeld zurückgewiesen. Mit ihrer vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Zahlungsbegehren weiter.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Dabei waren im Wesentlichen folgende Überlegungen leitend:

Die von der Bank erteilte Widerrufsbelehrung sei als vorformulierte Erklärung und somit als Teil der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach den auf diesem Rechtsgebiet geltenden Grundsätzen objektiv auszulegen. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen richten sich jedoch an eine Vielzahl von Empfängern. Hierbei stelle sich die Frage, wie ein objektiver Empfängerhorizont zu ermitteln sei. Grundsätzlich bestimme sich der Empfängerhorizont nach den Verständnismöglichkeiten der typischen Kundenkreise, losgelöst von der zufälligen Gestaltung des Einzelfalls und den individuellen Vorstellungen der Vertragsparteien. Nach dieser Maßgabe sei die oben aufgeführte Widerrufsbelehrung unzureichend deutlich formuliert, weil sie so verstanden werden könne, die Widerrufsfrist laufe unabhängig von der Abgabe der auf den Vertragsabschluss gerichteten Willenserklärung des Verbrauchers an. Diese Deutungsmöglichkeit entspreche allerdings nicht der für die Vertragsbeziehungen der Parteien geltenden Rechtslage.

Ob die Kläger, da sie mit der Bank zeitgleich an einem Ort anwesend waren, sog. Präsenzgeschäft, die erteilte Belehrung in Übereinstimmung mit der Beklagten stillschweigend richtig dahin verstanden haben, das Anlaufen der Frist setze die Abgabe ihrer Vertragserklärung voraus, sei unerheblich. Denn die Kläger seien als Verbraucher zu ihren Gunsten zwingend in Textform zu belehren gewesen, so dass die Widerrufsbelehrung nicht anhand eines konkludenten gemeinsamen Verständnisses der Vertragsparteien korrigiert werden könne. Auf die Kausalität des Belehrungsfehlers komme es nicht an.

Der Bundesgerichtshof hat außerdem seine Rechtsauffassung bestätigt, dass eine wie im vorliegenden Fall getroffene Aufhebungsvereinbarung einen anschließenden Widerruf nicht hindert.

Pressemitteilung Nr. 019/2017 vom 21.02.2017

Kategorie: Bank- und Kapitalmarktrecht, Widerruf Verbraucherdarlehen, 22. Februar 2017



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