Keine Entgeltfortzahlung bei zweifelhafter Krankschreibung
Entgeltzahlung im Krankheitsfall Wer sich im unmittelbaren Zusammenhang mit seiner Kündigung krankmeldet, riskiert die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Die Gesamtumstände des Sachverhalts können den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 02.05.2023
Az.: 2 Sa 2039/22
Immer wieder haben Arbeitgeber Zweifel an den Ihnen mitgeteilten Arbeitsunfähigkeiten und den entsprechenden ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AUB). In der Vergangenheit hatte das Bundesarbeitsgericht die Rechtsposition der Arbeitgeber in zweifelhaften Krankschreibesituationen gestärkt. Bei berechtigten Zweifeln an der AU verliert die entsprechende ärztliche AUB ihren Beweiswert Das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein hat diesen Ansatz des BAG in einer aktuellen Entscheidung mit einem zugrundeliegenden typischen praktischen Verlauf der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses angewendet. Die klagende Arbeitnehmerin bleibt ohne Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Klage auf Entgeltzahlung
Eine seit Mai 2019 als Pflegeassistentin beschäftigte Mitarbeiterin reichte bei ihrer Arbeitgeberin eine am 5.5.2022 ausgestellte und bis 11.5.2022 lautende AUB ein. Es folgten nahtlose Folgebescheinigungen bis zum 15.5., 22.5, 5.6. und schließlich bis 15.6.2022. Mit einem auf den 04.05.2022 datierten Kündigungsschreiben kündigte die Mitarbeiterin ihr Arbeitsverhältnis zum 15.06.2022. Im Prozeß konnte nicht geklärt werden, wann genau das Kündigungsschreiben der Arbeitgeberin im Zeitfenster 5.5.2022 und 11.05.2022 zugegangen ist. Im Kündigungsschreiben bat die Mitarbeiterin u.a. um die Zusendung einer Kündigungsbestätigung und der Arbeitspapiere an ihre Wohnanschrift. Sie bedankte sich für die bisherige Zusammenarbeit und wünschte dem Unternehmen alles Gute. Ab dem 5.5.2022 erschien die Mitarbeiterin nicht mehr zur Arbeit. Die Arbeitgeberin leistete keine Entgeltfortzahlung und wurde daraufhin von der Mitarbeiterin vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Lübeck auf Zahlung verklagt. Die Klägerin behauptet, aufgrund psychisch bedingter arbeitsplatzspezifischer Belastung, die sich auch körperlich durch Magenschmerzen geäußert hätten, arbeitsunfähig gewesen zu sein. Zudem habe sie starkes Unwohlsein und Unruhezustände verspürt. Auf der Grundlage der ärztlichen AU-Bescheinigungen verurteilte das ArbG die Arbeitgeberin zur Zahlung.
LAG entschied anders
Die Arbeitgeberin ging gegen das Urteil des ArbG in Berufung und bekam vor dem LAG Recht. Im Krankheitsfall steht dem Arbeitnehmer gem. § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) Entgeltfortzahlung bis zur Dauer von sechs Wochen zu, wenn dieser durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ohne Verschulden an der Erbringung der Arbeitsleistung verhindert ist.
Für das Vorliegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ist grundsätzlich der betroffene Arbeitnehmer beweispflichtig. Dabei kommt einer vom Arbeitnehmer vorgelegten ärztlichen AUB ein hoher Beweiswert zu. Es besteht bei einer vorgelegten AUB grundsätzlich die Vermutung, dass der Arbeitnehmer tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war. Unter bestimmten Voraussetzungen verliert eine AU-Bescheinigung jedoch ihren Beweiswert. Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der ärztlichen AUB zu erschüttern, so ist es Sache des Arbeitnehmers, seinerseits für das Vorliegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit Beweis zu erbringen. Hierzu ist etwa die Aussage des behandelnden Arztes oder die Einholung eines Sachverständigengutachtens geeignet. Eine Erschütterung der AUB kommt nicht nur dann in Betracht, wenn sich ein Arbeitnehmer in Zusammenhang mit seiner Kündigung einmal zeitlich passgenau bis zum Ablauf der Kündigungsfrist krankschreiben lässt.
Beweiswert der AUB erschüttert
Die den Beweiswert einer AUB erschütternden Tatsachen könnten sich auch aus dem eigenen Sachvortrag des Arbeitnehmers oder aus der AUB selbst ergeben. Erschüttert der Arbeitgeber den Beweiswert der AUB, muss der klagende Arbeitnehmer konkrete Tatsachen beweisen, die den Schluss auf seine Erkrankung zulassen. Dazu muss er vor Gericht vortragen, welche Krankheiten vorlagen, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden. Zudem muss der Arbeitnehmer zumindest laienhaft für den gesamten Entgeltfortzahlungszeitraum schildern, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben. Soweit sich der Arbeitnehmer auf das Zeugnis seiner behandelnden Ärzte beruft, muss er die Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbinden. Die Richter des LAG kamen zu dem Ergebnis, dass die klagende Mitarbeiterin die Voraussetzungen der Entgeltfortzahlung nicht ausreichend nachweisen konnte. Die fünf AUB, die passgenau bis zum Ablauf der Kündigungsfrist datierten, begründeten in Zusammenhang mit dem Kündigungsschreiben Zweifel an der Erkrankung, so dass der AUB kein Beweiswert mehr zukomme. Die Klägerin hatte im Kündigungsschreiben Urlaub beantragt, um ein Zeugnis an ihre Privatadresse gebeten und sich für die Zusammenarbeit bedankt. Aus der Formulierung des Kündigungsschreibens ergab sich für das LAG, dass die Klägerin nicht die Absicht hatte, nochmals in den Betrieb zurückzukehren. Bei diesen Gesamtumständen half es der Klägerin auch nicht, dass der als Zeuge vernommene behandelnde Arzt glaubwürdig zum Vorliegen eines vermuteten Infekts ausgesagt hatte. Eine psychische Belastungssituation konnte erst gar nicht von der Klägerin belegt werden.
Auswirkungen für die Praxis
Die vorliegende Entscheidung des LAG liegt auf der Linie einiger Entscheidungen der Arbeits- und Landesarbeitsgerichte, wonach den Gesamtumständen zweifelhafter Krankmeldungen in Kündigungsszenarien sehr viel Gewicht zukommt. Ausgangspunkt war eine Entscheidung des BAG aus September 2021, die sich mit einer passgenauen Krankschreibung bis zum Enddatum des Arbeitsverhältnisses nach einer Eigenkündigung beschäftigte und dem Arbeitnehmer Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall versagte. Es spricht sehr viel dafür, die Grundannahmen der Rechtsprechung nicht nur auf (Eigen)Kündigungen zu begrenzen, sondern ebenfalls bei Krankmeldungen als Reaktion auf unliebsame arbeitgeberseitige Weisungen, ein bei der Dienstplanung nicht berücksichtigtes „Wunsch-Frei“ oder eine Abmahnung anzuwenden. Im entschiedenen Fall vor dem LAG Schleswig-Holstein droht der Klägerin nach den deutlichen Ansagen der Richter eine Strafverfolgung wegen versuchten Betrugs zu Lasten der Arbeitgeberin. Ein deutliches und gutes Zeichen.
Kategorie: Arbeitsrecht, Pflege & Recht, 15. Oktober 2023
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