Keine gemeindliche Pflicht zur erneuten Offenlegung des Entwurfs eines Bebauungsplans bei Ergänzung eines Begründungselements nach Öffentlichkeitsbeteiligung
Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg
Urteil vom 12.07.2023 – 5 S 3193/21
Der VGH des Landes Baden-Württemberg hat entschieden, dass für den Fall, in dem der Entwurf eines Bebauungsplans nach Abschluss der Beteiligung der Öffentlichkeit und der Behörden um ein Begründungselement ergänzt wird, für die Gemeinde keine Pflicht zur erneuten Offenlegung nach § 4a Absatz 3 Satz 1 BauGB entsteht. Der Zweck der Ausfertigung, zu bezeugen, dass der Satzungsinhalt mit dem Willen des Gemeinderats übereinstimmt, erfordert es nicht, dass der ausfertigenden Person sämtliche Satzungsbestandteile gleichzeitig zur Ausfertigung vorliegen. Unterlässt die Gemeinde Erwägungen zu der Frage, ob die Obergrenzen des § 17 BauNVO (in der Fassung vom 01.10.2017) überschritten sind und ob eine solche Überschreitung nach Absatz 2 der Norm gerechtfertigt werden kann, so liegt ein Ermittlungsfehler vor. Diese ungerechtfertigte Überschreitung der genannten Obergrenzen führt zur Unwirksamkeit der Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung.
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Antragssteller sind Eigentümer des innerhalb des Plangebiets belegenen Grundstücks, das bislang mit einem Gebäude zu Labor- und Bürozwecken bebaut ist. Am 28.12.2017 beantrage der Antragssteller zu 1) bei der Antragsgegnerin die Erteilung eines Bauvorbescheids zur Nutzungsänderung des Bestandsgebäudes in ein „Fahrradhotel“ sowie zur Errichtung einer Dachterrasse, dessen Erteilung die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 26.07.2019 ablehnte: Der Gemeinderat habe am 06.08.2018 die Aufstellung des hier angegriffenen Bebauungsplans („Stromeyersdorf Ib, 2. Änderung“) und am 17.07.2019 ergänzend hierzu eine Veränderungssperre beschlossen, die den am 06.07.2006 in Kraft getretenen Bebauungsplan „Stromeyersdorf Ib“ einschließlich seiner örtlichen Bauvorschriften und den am 14.01.2017 in Kraft getretenen Bebauungsplan „Stromeyersdorf Ib, 1. Änderung“ aufhebt. Am 15.07.2021 beschloss der Gemeinderat den Bebauungsplan „Stromeyers-dorf Ib, 2. Änderung“ und die mit ihm aufgestellten örtlichen Bauvorschriften.
Die Antragssteller wenden sich nunmehr gegen den Bebauungsplan vom 15.07.2021 und die hierzu ergangenen örtlichen Bauvorschriften im Wege eines Normkontrollverfahrens. Es bestünden Bedenken gegen die ordnungsgemäße Ausfertigung des Bebauungsplans (formeller Fehler): Die Ausfertigung des zeichnerischen Teils erfolgte am 16.07.2021, die der Satzung selbst einschließlich textlicher Festsetzungen und der örtlichen Bauvorschriften jedoch erst am 20.07.2021. Zudem mache das durch den Gemeinderat der Antragsgegnerin am 24.06.2021 (und damit vor Inkrafttreten des streitgegenständlichen Bebauungsplans) beschlossene „Standortkonzept zur Steuerung künftiger Hotelentwicklungen“ eine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung erforderlich, denn es sei als städtebauliches Entwicklungskonzept im Sinne des § 1 Absatz 6 Nummer 11 BauGB zu qualifizieren. Weiter werde der Orientierungswert für die Geschossflächenzahl in § 17 BauNVO überschritten (materieller Fehler). Mit Blick auf die außerordentlich großzügigen Baugrenzen und die zulässige maximale Gebäudehöhe würde bereits eine dreigeschossige Bebauung bei vollständiger Ausnutzung der Grundflächenzahl die Grenze der Geschossflächenzahl von 2,4 erreichen. Hierüber habe sich die Antragsgegnerin keine Gedanken gemacht.
Die Antragsgegnerin hält dem entgegen, der Bebauungsplan leide nicht an formellen oder materiellen Fehlern, die die Unwirksamkeit zur Folge hätten. Zum einen sei die Ausfertigung nicht zu beanstanden. Es bestünden keine Vorschriften darüber, wann die Ausfertigung zu erfolgen habe oder dass sämtliche Bestandteile an demselben Tag auszufertigen wären. Zum anderen seien die Bedenken wegen der Überschreitung der nach § 17 BauNVO 2017 festgesetzten Obergrenzen hinsichtlich der Geschlossflächenzahl unbegründet. Sowohl Grund- als auch Geschossflächenzahl würden durch den vorhandenen Bestand eingehalten.
Nach Auffassung des VGH Baden-Württemberg liege keine beachtlich gebliebene Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 214 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, § 215 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 BauGB vor. Eine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung wegen des am 24.06.2021 durch den Gemeinderat der Antragsgegnerin beschlossenen „Standortkonzept zur Steuerung künftige Hotelentwicklungen“ sei nicht erforderlich. Gemäß § 4a Absatz 3 Satz 1 BauGB sei der Entwurf eines Bauleitplans erneut auszulegen, wenn er nach der bereits durchgeführten Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 3 Absatz 2, § 4 Absatz 2 BauGB geändert oder ergänzt wird. Die Pflicht zur erneuten Offenlage korrespondiere mit den Zwecken des Verfahrens der Öffentlichkeitsbeteiligung. Dieses diene in erster Linie der Beschaffung und Vervollständigung des notwendigen Abwägungsmaterials (vgl. § 4a Absatz 1 BauGB). Daher sei es geboten, das Verfahren der öffentlichen Auslegung zu wiederholen, wenn der Entwurf des Bebauungsplans nach einer bereits durchgeführten öffentlichen Auslegung in einer die Grundzüge der Planung berührenden Weise geändert oder ergänzt wird, oder bei weniger grundlegenden Änderungen und Ergänzungen zumindest die davon betroffenen Grundstückseigentümer sowie davon in ihrem Aufgabenbereich berührte Träger öffentlicher Belange zu hören. Wenn eine nach öffentlicher Auslegung vorgenommene Ergänzung einer Festsetzung keine inhaltliche Änderung des Planentwurfs zur Folge hat, bestehe auch kein Anlass zu einer erneuten Beteiligung von Bürgern und Trägern öffentlicher Belange.
Auch leide der Bebauungsplan nicht an einem Ausfertigungsmangel. Den landesrechtlichen Anforderungen hieran werde entsprochen, wenn die Satzung über den Bebauungsplan in der Regel vom Bürgermeister oder seinem Vertreter durch Unterschrift und Datumsangabe ausgefertigt wird. Zweck der Ausfertigung sei es, zu bezeugen, dass der Satzungsinhalt mit dem Willen des Gemeinderats übereinstimmt. Weitere Anforderungen stelle das Landesrecht nicht. Die Ausfertigung schaffe die Originalurkunde, die zugleich Grundlage und Voraussetzung der Verkündung ist. Sie müsse daher in der Zeit zwischen Satzungsbeschluss und Bekanntmachung erfolgen. Soweit in der Satzung auf deren Bestandteile (Pläne, Bebauungsvorschriften) Bezug genommen wird, müsse diese entweder selbst ausgefertigt oder aber in der Satzung in einer Weise genau bezeichnet sein, die keinen Zweifel daran lasse, welche Regelungen gemeint seien.
Allerdings sei auf einen nach § 214 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und § 215 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 BauGB beachtlich gebliebenen Ermittlungsfehler im Sinne von § 2 Absatz 3 BauGB zu erkennen. Nach § 2 Absatz 3 BauGB seien bei der Aufstellung der Bauleitpläne die Belange, die für die Abwägung nach § 1 Absatz 7 BauGB von Bedeutung sind (Abwägungsmaterial), zu ermitteln und zu bewerten. Das notwendige Abwägungsmaterial umfasse dabei solche Belange, die in der konkreten Planungssituation „nach Lage der Dinge“ in die Abwägung eingestellt werden müssen. Ein bereits einen Verfahrensfehler im Sinne des § 214 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 BauGB begründendes Ermittlungsdefizit liege vor, wenn abwägungserhebliche Belange in wesentlichen Punkten nicht zutreffend ermittelt worden sind und der Gemeinderat deshalb seiner Abwägungsentscheidung einen falschen Sachverhalt zu Grunde gelegt habe. Denn eine sachgerechte Einschätzung des Gewichts der berührten Belange (als Bewertung im Sinne des § 2 Absatz 3 BauGB) setze ein vollständiges und zutreffendes Bild von den voraussichtlichen Auswirkungen der Planung voraus. Ein ebenfalls bereits einen Verfahrensfehler im Sinne des § 214 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 BauGB begründender Bewertungsfehler liege vor, wenn die Bedeutung der berührten Belange verkannt würden. Beachtlich sei ein Ermittlungs- oder Bewertungsfehler nur, wenn entgegen § 2 Absatz 3 BauGB die von der Planung berührten Belange, die der Gemeinde bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, in wesentlichen Punkten nicht zutreffend ermittelt oder bewertet worden seien und wenn der Mangel offensichtlich und auf das Ergebnis des Verfahrens von Einfluss gewesen sei (§ 214 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 BauGB). Der Gemeinderat der Antragsgegnerin habe nicht erkannt, dass durch die in dem angegriffenen Bebauungsplan getroffenen Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung die Obergrenze für die Geschossflächenzahl nach § 17 Abs. 1 BauNVO in der hier anzuwendenden Fassung vom 01.10.2017 überschritten werde, und folglich auch nicht erwogen, ob die Voraussetzungen für eine Überschreitung der Obergrenze nach Absatz 2 dieser Norm vorliegen und ob er hiervon Gebrauch machen möchte.
Kategorie: Bau- und Architektenrecht, 19. Oktober 2023
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