Keine Nichtigkeit der während der Corona-Pandemie in einer sog. Vertreterversammlung gefassten Beschlüsse der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer

Keine Nichtigkeit der während der Corona-Pandemie in einer sog. Vertreterversammlung gefassten Beschlüsse der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer


Bundesgerichtshof (BGH)

Urteil vom 8.03.2024 – V ZR 80/23

Der fünfte Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 08. März entschieden, dass während der Corona-Pandemie gefasste Beschlüsse einer Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nicht deshalb nichtig sind, weil die Wohnungseigentümer an der Eigentümerversammlung nur durch Erteilung einer Vollmacht an den Verwalter teilnehmen konnten.

Der Fall: Wohnungseigentumsrecht versus Infektionsschutzrecht

Gemäß § 24 Abs. 1 des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) sind Verwalter verpflichtet, mindestens einmal im Jahr eine Versammlung einberufen.
Wegen der zum maßgeblichen Zeitpunkt grassierenden Covid19-Pandemie war eine Zusammenkunft bei physischer Anwesenheit jedoch unter Androhung von Sanktionen ordnungsbehördlich verboten. Da es der Gesetzgeber aber verpasst hatte, in seinen Übergangsgesetzen zum WEG die Abhaltung von Versammlungen zu Pandemiezeiten zu regeln, hatten diese Formvorschriften auch während der Corona-Pandemie Bestand.

Die Verwalterin einer Gemeinschaft von Wohnungseigentümern lud zu einer am 24. November 2020 stattfindenden Eigentümerversammlung ein. Um nicht gegen das geltende Kontaktverbot zu verstoßen, forderte sie die Wohnungseigentümer auf, ihr unter Verwendung beigefügter Formulare eine schriftliche Vollmacht und Weisungen für die Stimmabgabe zu erteilen.  
5 von 24 Eigentümern kamen dem nach.

Mit Schreiben vom 24. November 2020 teilte die Verwalterin mit, die Wohnungseigentümer seien bei der allein von ihr abgehaltenen Versammlung aufgrund erteilter Vollmachten vertreten gewesen. Sie übermittelte zugleich ein Protokoll über die gefassten Beschlüsse.

Dagegen wehrten sich die Wohnungseigentümer, die im Vorfeld keine Vollmacht erteilt hatten, mit einer verspäteten Beschlussmängelklage.

Diese wurde durch das Amtsgericht Frankfurt a.M. – Urteil vom 7. Juli 2022 – 381 C 495/20 (37) wegen Ablaufs der einmonatigen Frist für die Anfechtungsklage abgewiesen.  

Auf die Berufung der Kläger hat das Landgericht Frankfurt a.M. – Urteil vom 27. März 2023 – 2-09 S 38/22 die Beschlüsse für nichtig erklärt.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat entschieden das die Beschlüsse der Wohnungseigentümerversammlung, wenngleich fehlerhaft, jedenfalls nicht nichtig sind.
Das Urteil des Landgerichts Frankfurt a.M. wurde aufgehoben.

Die Einberufung und Abhaltung der Eigentümerversammlung vom 24. November 2020 entsprachen allerdings nicht den Vorgaben des Wohnungseigentumsgesetzes. Eine Eigentümerversammlung setzt grundsätzlich ein physisches Zusammentreffen der Wohnungseigentümer voraus. Eine rein virtuelle Eigentümerversammlung sieht das Wohnungseigentumsgesetz derzeit nicht vor.

Eine sogenannte Vertreterversammlung, in der – wie hier – nur eine Person anwesend ist, ist nur dann zulässig, wenn sämtliche Wohnungseigentümer in ein solches Vorgehen eingewilligt und den Verwalter zu der Teilnahme und Stimmabgabe bevollmächtigt haben. Diese Regelungen hat die Verwalterin insgesamt außer Acht gelassen, indem sie die Versammlung ohne Teilnahmemöglichkeit aller Eigentümer allein durchgeführt hat.

Ein Beschluss ist nach § 23 Abs. 4 WEG nur dann nichtig, wenn er gegen eine Rechtsvorschrift verstößt, auf deren Einhaltung rechtswirksam nicht verzichtet werden kann.

Zwar kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Nichtigkeit eines Beschlusses daraus ergeben, dass er in den Kernbereich des Wohnungseigentums eingreift, wozu u.a. unentziehbare und unverzichtbare Individualrechte gehören.

Diese Rechtsprechung betrifft aber den Inhalt von Beschlüssen, während es hier um das Zustandekommen der Beschlüsse geht. Bei der Beschlussfassung ist das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht der Wohnungseigentümer dispositiv und daher nicht zwingend.
Die Nichteinladung einzelner Wohnungseigentümer führt deshalb nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig nur zur Anfechtbarkeit der in der Versammlung gefassten Beschlüsse. Die Anfechtungsfrist war jedoch bereits bei Klageeinreichung abgelaufen.

Die Folgen: unauflösliche Konfliktsituation in Krisenzeiten

Die Entscheidung des BGH wurde auch maßgeblich dadurch beeinflusst, dass die Verwalterin sich einem Dilemma befand, entweder das Wohnungseigentumsrecht oder das Infektionsschutzrecht zu missachten. In dieser Ausnahmesituation versuchte die Verwalterin aus Praktikabilitätsgründen die Fassung von Beschlüssen zu ermöglichen, was auch im Interesse der Wohnungseigentümer lag. Da die Eigentümer konkrete Weisungen erteilen sollten, wie sie in der Versammlung abstimmen sollte, war im Grunde auch die ordnungsgemäße Vertretung geregelt.

Aufgrund dieser ungewöhnlichen Umstände lässt sich aus der Entscheidung schwerlich Grundsätzliches für übliche Konstellationen in der Praxis ableiten.
Außerhalb von Ausnahmesituationen, dürfte wohl von einer Anfechtbarkeit auszugehen sein. Der BGH hat es jedoch aufgrund mangelnder Entscheidungserheblichkeit in diesem Fall vermieden, abschließend dazu Stellung zu nehmen. Ebenso wurden keinen grundsätzlichen Feststellungen zur Nichtigkeit getroffen. In der Konsequenz sind die Auswirkungen dieser Entscheidung als marginal zu bezeichnen.

Unabhängig davon berät der Bundestag zurzeit über den Entwurf eines Gesetzes zur Zulassung virtueller Wohnungseigentümerversammlungen. Demnach soll in Zukunft eine virtuelle Versammlung mit einer Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen möglich sein.
Mit diesem Gesetz wären die Hürden zur Abhaltung einer virtuellen Sitzung etwas abgesenkt, da derzeit noch alle Eigentümer zustimmen müssen.

Eine Auflösung der „unauflöslichen Konfliktsituation“, wie es der BGH umschreibt, wird dadurch aber nicht erreicht. Wenn die Eigentümerversammlung die Abhaltung einer virtuellen Sitzung in einer pandemischen Lage mit Kontaktbeschränkungen blockiert, bleibt es dabei, dass der Verwalter keinen Handlungsspielraum hat, um seiner Pflicht zur Abhaltung einer Versammlung nachzukommen.

 

 

Kategorie: Corona Aktuelle, Wohnungseigentumsrecht, 11. März 2024

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