Pflegeeinrichtungen in NRW-aufgepasst! § 20 III Landesrahmenvertrag NRW Kurzzeitpflege: 1-Jahres-Frist für Rechnungsstellung oder Verjährungsfrist?

Pflegeeinrichtungen in NRW-aufgepasst! § 20 III Landesrahmenvertrag NRW Kurzzeitpflege: 1-Jahres-Frist für Rechnungsstellung oder Verjährungsfrist?


§ 20 LRV Absatz 3 NRW Kurzzeitpflege: 1-Jahres-Frist nur für Rechnungsstellung oder Verjährungsregelung? Eine wichtige Einordnung für Pflegeeinrichtungen

Der Landesrahmenvertrag (LRV) nach § 75 Abs. 1 SGB XI für die Kurzzeitpflege in Nordrhein-Westfalen regelt die Beziehungen zwischen Pflegeeinrichtungen und Pflegekassen. Eine Vorschrift sorgt dabei gerade in der letzten Zeit immer wieder für Diskussionen und Unsicherheiten bei der Abrechnung: § 20 Abs. 3 LRV NRW. Diese Bestimmung legt eine Frist von einem Jahr fest, nach der Forderungen „nicht mehr erhoben werden“ können. Doch was bedeutet das genau? Handelt es sich um eine reine Frist zur Einreichung der Rechnung oder gar um eine verkürzte Verjährungsfrist für den Anspruch selbst? Diese Frage hat erhebliche praktische Konsequenzen, da sich Pflegekassen mitunter zunehmend auf eine vermeintliche Verjährung berufen, um Zahlungen abzulehnen.

Der strittige § 20 LRV NRW im Wortlaut

Schauen wir uns den relevanten Paragrafen und die Absätze 3 und 4 genauer an:

  • § 20 Zahlungsfrist, Forderungen und Beanstandungen

[…]

(3) Forderungen aus Vertragsleistungen können nach Ablauf eines Jahres gerechnet vom Ende des Monats, in dem sie erbracht worden sind, nicht mehr erhoben werden.

(4) Beanstandungen müssen innerhalb von einem Jahr nach Rechnungseingang erhoben werden.

Die Unsicherheit entsteht durch die Formulierung „nicht mehr erhoben werden“ in Absatz 3.

Auslegung nach dem Wortlaut: „Erhoben“ gleich „Geltend gemacht“?

Sprachlich betrachtet wird eine Forderung durch die Pflegeeinrichtung gegenüber der Pflegekasse typischerweise durch die Rechnungsstellung „erhoben“, also abverlangt bzw. geltend gemacht. Es spricht daher wenig dafür, dass der Begriff hier etwa im Sinne einer gerichtlichen Geltendmachung oder einer anderen verjährungshemmenden Maßnahme zu verstehen sein könnte. Die naheliegendste Lesart ist daher, dass Absatz 3 eine sog. Ausschlussfrist für die Einreichung der Rechnung setzt.

Systematische Einordnung: Logische Abfolge in § 20

Die Struktur des § 20 unterstützt diese Auslegung. Die Überschrift „Zahlungsfrist, Forderungen und Beanstandungen“ und die Abfolge der Absätze legen eine logische Reihenfolge nahe:

  • Abs. 3: Regelt die Frist für die Geltendmachung von Forderungen durch die Pflegeeinrichtung (also die Rechnungsstellung).
  • Abs. 4: Regelt die Frist für Beanstandungen der Rechnung durch die Pflegekasse.

Diese Systematik macht Sinn: Zuerst muss die Rechnung gestellt werden (Abs. 3), erst dann kann sie innerhalb einer Frist beanstandet werden (Abs. 4).

  • § 20 findet sich zudem im Abschnitt II des LRV, der die allgemeinen Bedingungen der Pflege, Kostenübernahme und Abrechnung regelt. Während § 19 die Art der Abrechnung beschreibt (mit Verweis auf §§ 105, 106 SGB XI), regelt § 20 die Fristen – erst Zahlungsfristen, dann die Frist zur Rechnungsstellung (Abs. 3) und schließlich die Frist für Einwendungen (Abs. 4). Man kann Abs. 3 daher nur als „Ausschlussfrist“ für die Rechnungsstellung verstehen.

Vergleich mit anderen Bundesländern: Mehr Klarheit anderswo

Ein Blick in die Landesrahmenverträge anderer Bundesländer bestärkt diese Interpretation. Dort finden sich oft klarere Formulierungen. Beispiele:

  • Hamburg, Brandenburg, Bremen/Bremerhaven, Sachsen-Anhalt: „Sollten Rechnungen später als 12 Monate nach Leistungserbringung eingereicht werden, kann die Pflegekasse die Bezahlung verweigern.“

Hier ist eindeutig von der Einreichung der Rechnung die Rede. In Sachsen-Anhalt findet sich die entsprechende Regelung unter der Überschrift „Beanstandungen zur Abrechnung“, was den direkten Zusammenhang zwischen der Frist für die Rechnungsstellung und dem Beanstandungsrecht der Pflegekasse unterstreicht.

Sinn und Zweck: Konnexität zur Beanstandungsfrist in Abs. 4

Würde man § 20 Abs. 3 als Verjährungsfrist interpretieren, entstünde ein erheblicher Widerspruch zu Absatz 4. Dieser gibt der Pflegekasse ausdrücklich ein Jahr nach Rechnungseingang Zeit, die Rechnung zu prüfen und zu beanstanden. Müsste die Pflegeeinrichtung aber bereits innerhalb eines Jahres nach Leistungserbringung verjährungshemmende Maßnahmen (z.B. Klage) einleiten, würde dies das Prüfungsrecht der Kasse unterlaufen. Es kann nicht Sinn der Regelung sein, dass die Einrichtung klagen muss, während die Kasse die Rechnung noch prüfen darf (und vielleicht sogar anerkennen würde). Umgekehrt hat die Einrichtung innerhalb der Prüfungsfrist der Kasse schon gar keinen Anlass, gerichtliche Schritte einzuleiten.

Praktische Erfahrungen und Einschätzung der Verbände

Die Problematik der missglückten Formulierung ist den Verbänden der Pflegebranche bekannt; eine Einigung auf eine klarere Formulierung scheiterte bisher an unterschiedlichen Positionen. Die Pflegekassen nutzen derzeit verstärkt die unklare Formulierung, um sich – oft vor dem Hintergrund ihrer angespannten Finanzlage – unter Berufung auf Verjährung ihrer Zahlungspflicht zu entziehen.

Eine gerichtliche Klärung der Auslegung sei bisher nicht erfolgt, da die Probleme in der Praxis häufig auf der Verhandlungsebene zwischen Verband und Kasse gelöst werden.

Handlungsempfehlungen für betroffene Pflegeeinrichtungen

Wenn eine Pflegekasse die Zahlung unter Berufung auf § 20 Abs. 3 LRV NRW verweigert, obwohl die Rechnung innerhalb eines Jahres nach Leistungserbringung eingereicht wurde:

  • Kontakt zum eigenen Verband: Suchen Sie Unterstützung bei Ihrem Verband, um eine außergerichtliche Lösung auf Verhandlungsebene anzustreben.
  • Anwaltliche Prüfung / Gerichtliche Klärung: Ziehen Sie eine anwaltliche Beratung in Betracht. Gegebenenfalls muss die Auslegung der Vorschrift gerichtlich geklärt werden. Die Argumente für eine Auslegung als reine Rechnungsstellungsfrist sind nicht von der Hand zu weisen. Wichtig ist dabei der Nachweis des rechtzeitigen Rechnungseingangs bei der Kasse.

Fazit

Auch wenn der Wortlaut des § 20 Abs. 3 LRV NRW Kurzzeitpflege unglücklich erscheint, sprechen Wortlaut, Systematik, der Vergleich mit anderen Bundesländern sowie Sinn und Zweck der Regelung eindeutig dafür, dass es sich um eine Frist zur Einreichung der Rechnung (sog. „Ausschlussfrist“) und nicht um eine Verjährungsfrist für den Anspruch selbst handelt. Pflegeeinrichtungen sollten eine Zahlungsverweigerung unter Berufung auf diese Norm nicht hinnehmen und rechtliche Hilfe oder die Hilfe ihrer Verbände in Anspruch nehmen.

Kategorie: Pflege & Recht, 31. März 2025



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