Weitere Nachträge durch Übernahme des Mehrkostenrisikos ausgeschlossen?

Weitere Nachträge durch Übernahme des Mehrkostenrisikos ausgeschlossen?


Oberlandesgericht (OLG) Rostock
Urteil vom 26.11.2019 – 4 U 47/18

Das OLG Rostock hat entschieden, dass bei Vorliegen einer nachträglichen Ergänzungsvereinbarung der Parteien eines Bauvertrags mit dem Inhalt, dass „für sämtliche erforderlichen Leistungen zur Realisierung der zweiten Baustufe ein Gesamt-Pauschalpreis neu gebildet wird“ und damit einhergehend „gleichermaßen die bekannten, zugleich aber auch sämtliche unbekannten Sachverhalte, die zur vertragsgemäßen Fertigstellung der Gesamtleistung erforderlich sind und die Mehrkosten nach sich ziehen können,“ erledigt werden sollen, der Auftragnehmer die Beweislast dafür trägt, dass ein Mehrvergütungsanspruch von dem – in der nachträglichen Ergänzungsvereinbarung geregelten – Vollständigkeits- und Mehrkostenrisiko nicht erfasst wird. Nach Übernahme des Vollständigkeits- und Mehrkostenrisikos kann sich der Auftragnehmer nur noch ausnahmsweise auf einen Mehrkostensachverhalt berufen.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin (Los-ARGE Rohbau, Ausbau und TGA) macht aus abgetretenem Recht der Dach-ARGE, der sie angehörte, Mehrkostenvergütungsansprüche aus Nachträgen wegen Mehrleistungen und Bauzeitverzögerungen in Höhe von rund 25 Mio. € geltend. Die Dach-ARGE war im Juni 2008 mit Detailpauschalvertrag und einem Pauschalpreis in Höhe von ursprünglich rund 258 Mio. € von der Beklagten mit der zweiten Baustufe eines Bauvorhabens beauftragt worden. Die Ausführung übertrug sie der Klägerin.

Es kam fortwährend zu Verzögerungen im Bauablauf sowie Nachtragsanzeigen der Dach-ARGE. Sodann traf sie mit der Beklagten drei Ergänzungsvereinbarungen über neue Fertigstellungstermine und die Abgeltung von Mehrkostensachverhalten. Letzte unterzeichneten die Parteien im April 2012 mit oben angeführten – auszugsweisem – Inhalt. Der hierin vereinbarte Gesamtwerklohn betrug nunmehr rund 298 Mio. €. Mit diesem Gesamt-Pauschalfestpreis sollten sämtliche Ansprüche des Auftragnehmers abgegolten seien. Die Dach-ARGE verpflichtete sich weiter dazu, für den neu vereinbarten Gesamt-Pauschalfestpreis vollständig und ohne Anspruch auf weitere Vergütung sämtliche Leistungen zu erbringen, die zur funktionstüchtigen, mangelfreien, termingerechten und bezugsfertigen Herstellung des Bauvorhabens erforderlich sind. Für Vergütungs- und Mehrkostenansprüche enthält die Ergänzungsvereinbarung eine Einschränkung für von der Beklagten geforderte geänderte oder zusätzliche Leistungen, “die nicht vom Vollständigkeitsrisiko gedeckt sind“ oder sich aus behördlichen Auflagen ergeben. Aufgrund der – bereits zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Ergänzungsvereinbarung – auseinanderdividierenden Auffassungen über den Umfang des Vollständigkeits- und Mehrmengenrisikos unterschrieben die Parteien zudem eine entsprechende Protokollerklärung. Hierin hielten sie unter anderem Komplexe fest, die übereinstimmend von dem Mehrvergütungsrisiko ausgenommen wurden.

Die Vorinstanz wies die Klage unter anderem mit der Begründung ab, die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche seien durch die dritte Ergänzungsvereinbarung ausgeschlossen.

Auf die sich hiergegen richtende Berufung der Klägerin hin führt der zuständige Senat des OLG Rostock aus, die Vorinstanz habe den von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt übergangen. Die zuständige Kammer der Vorinstanz habe vor allem den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Artikel 103 Absatz 1 GG) verletzt, indem sie die für die streitentscheidende Auslegung der dritten Ergänzungsvereinbarung maßgeblichen Umstände, insbesondere die dazugehörige Protokollerklärung nebst Anlagen, gänzlich unberücksichtigt gelassen habe. Das mit der Berufung der Klägerin angefochtene Urteil beruhe insofern auf wesentlichen Verfahrensmängeln und die Sache sei demnach an das vorinstanzliche Landgericht zurückzuweisen. Das Landgericht sei im Zuge dessen insbesondere auf die oben genannte Darlegungs- und Beweislast hinzuweisen.

Kategorie: Bau- und Architektenrecht, 17. September 2021



zurück