Air Berlin stellt Mitarbeiter „widerruflich“ frei. Was bedeutet dies für die Mitarbeiter in Bezug auf Ansprüche auf Arbeitslosengeld, spätere mögliche Kündigungsschutzverfahren und mögliche Betriebsübergänge?

Air Berlin stellt Mitarbeiter „widerruflich“ frei. Was bedeutet dies für die Mitarbeiter in Bezug auf Ansprüche auf Arbeitslosengeld, spätere mögliche Kündigungsschutzverfahren und mögliche Betriebsübergänge?


Am späten Abend des 31. Oktobers und in den frühen Morgenstunden des 1. Novembers erhalten zahlreiche Mitarbeiter der insolventen Air Berlin eine E-Mail ihrer (noch) Arbeitgeberin. Der in auffallend nettem Ton formulierte zentrale Inhalt der Nachricht lautet: „Zunächst widerrufliche Freistellung von der Arbeit.“  Am 2. und 3. November geht den angeschriebenen Mitarbeitern sodann – wie in der E-Mail angekündigt – die Freistellungserklärung per Post zu.

Diese widerrufliche Freistellung sorgte bei den betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der insolventen Fluggesellschaft für teils massive Verunsicherung. Befeuert wird die Verunsicherung der Mitarbeiter durch widersprüchliche und mitunter auch schlicht falsche Kommentierungen und Berichterstattungen, insbesondere im Internet.

Der Klärung bedürfen aus unserer Sicht drei aktuell drängende Fragestellungen:

  • Haben widerruflich freigestellte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf Leistungen der Bundesagentur für Arbeit?
  • Hat eine Arbeitslosmeldung Auswirkungen auf ein mögliches späteres Kündigungsschutzverfahren?
  • Hat eine Arbeitslosmeldung Auswirkungen auf ein mögliches späteres Verfahren zur Feststellung eines Betriebsübergangs (§ 613a BGB)?

 

Vorab:
Mit einer widerruflichen Freistellung erklärt der Arbeitgeber, bis auf Weiteres auf die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers zu verzichten und dessen Arbeitsleistung nicht mehr anzunehmen. Im Gegensatz zur unwiderruflichen Freistellung behält sich der Arbeitgeber bei einer widerruflichen Freistellung vor, den Arbeitnehmer zu einem späteren Zeitpunkt wieder zur Arbeitsleistung aufzufordern und dessen Arbeitsverpflichtung wieder auszulösen.

Eine Freistellung durch den Arbeitgeber hat keinen Einfluss auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitgeber ist weiterhin zu Zahlung der Vergütung verpflichtet. Auch wird durch eine widerrufliche Freistellung kein Urlaub des Arbeitnehmers „verbraucht“.

So einfach, so gut. Aber: Laut aktuellen Mitteilungen des Sachwalters im Insolvenzverfahren muss von einer sogenannten Masseunzulänglichkeit ausgegangen werden. Dies bedeutet, dass die insolvente Gesellschaft / der Sachwalter die Gehälter der Mitarbeiter nicht mehr zahlen wird. Die drohende Masseunzulänglichkeit hat der Sachwalter dem Insolvenzgericht am 1. November angezeigt.


Zu den Fragestellungen:

1.
Da durch eine Freistellung der Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht betroffen ist und das Arbeitsverhältnis somit fortbesteht, liegt per se keine tatsächliche Arbeitslosigkeit vor. Dennoch können freigestellte Arbeitnehmer Leistungen der Bundesagentur für Arbeit beanspruchen.
Im Rahmen der sogenannten „Gleichwohlgewährung“ erhalten widerrufliche freigestellte Arbeitnehmer auf Antrag Arbeitslosengeld I (ALG I) bei Beschäftigungslosigkeit. Eine Beschäftigungslosigkeit liegt bei einer widerruflichen Freistellung unter anderem dann vor, wenn der Arbeitnehmer das Direktionsrecht des Arbeitgebers nicht mehr anerkennt. Eine solche Erklärung ist regelmäßig schon in der Beantragung von ALG I zu sehen.
Ergebnis: Eine widerrufliche Freistellung verhindert keinen Anspruch auf ALG I.

2.
Durch eine Freistellung ist der Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht betroffen, das Arbeitsverhältnis besteht fort. Hieran ändert auch eine „Arbeitslosmeldung“ nichts. Der Arbeitnehmer bringt durch eine Arbeitslosmeldung und Beantragung von Leistungen der Bundesagentur für Arbeit nicht zum Ausdruck, dass ein Arbeitsverhältnis nicht (mehr) besteht.
Die Erhebung einer Kündigungsschutzklage bei späterem Ausspruch der Kündigung ist folglich weder eingeschränkt noch unmöglich.
Anderslautende Meldungen sind schlicht falsch.
Ergebnis: Die Beantragung von ALG I schränkt ein späteres Kündigungsschutzverfahren werde ein noch macht sie es unmöglich.

3.
Liegt ein Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB vor, übernimmt der Betriebsübernehmer auch sämtliche vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitsverhältnisse; und zwar unverändert mit sämtliche Vertragsbestandteilen und Vertragsinhalten. Der Übergang der Arbeitsverhältnisse erfolgt qua Gesetz und ist damit unabhängig vom Willen der Beteiligten. Alleine der Arbeitnehmer kann dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechen.
Da weder eine Freistellung noch eine „Arbeitslosmeldung“ etwas am Bestand des Arbeitsverhältnisses ändern (siehe vorstehende Fragen 1. und 2.), haben diese auch keine Auswirkungen auf den Übergang des Arbeitsverhältnisses im Zuge eines Betriebsübergangs.
Die Berufung auf einen Betriebsübergang ist folglich weder eingeschränkt noch unmöglich.
Anderslautende Meldungen sind schlicht falsch.
Ergebnis: Weder die unwiderrufliche Freistellung, noch die Beantragung von ALG I haben Auswirkungen auf einen möglichen Betriebsübergang.

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Sollten Sie weitere Auskünfte benötigen, stehen wir Ihnen als erfahrene Berater jederzeit gerne zur Verfügung.

Kategorie: Arbeitsrecht, 03. November 2017



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