Bundessozialgericht: Pflegekräfte sind regelmäßig sozialversicherungspflichtige Beschäftigte
Bundessozialgericht (BSG)
Urteil vom 19.10.2021 – B 12 R 6/20 R
Die Klägerin ist examinierte Altenpflegerin und war von August bis Dezember 2014 für den beigeladenen Pflegedienst als ambulante Altenpflegerin in der Intensivpflege tätig. Den jeweiligen Einzeldiensten lag ein Vertrag über die „Konditionen, Fachaufsicht und die Rechnungslegung der Vertragspartner“ zugrunde. Danach bot die Klägerin der Beigeladenen ihre „Kapazitäten“ an und erhielt einen Stundenlohn von 25 Euro. Nach Vereinbarung eines Auftrags wurde die Klägerin in den von der Beigeladenen aufgestellten Dienstplan aufgenommen.
Die beklagte DRV Bund stellte fest, dass die Klägerin im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses tätig sei und in den Zweigen der Sozialversicherung Versicherungspflicht bestehe. Das SG hat die Verwaltungsentscheidung aufgehoben und festgestellt, dass die Tätigkeit der Klägerin nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt worden sei und keine Versicherungspflicht bestanden habe. Die Berufung hat das LSG zurückgewiesen. Ob die Rechtsprechung des BSG zur lediglich ausnahmsweise in Betracht kommenden selbstständigen Pflegetätigkeit in einer stationären Einrichtung auf Pflegekräfte im ambulanten Bereich übertragbar sei, könne offenbleiben. Es lägen überwiegend für eine selbstständige Tätigkeit sprechende Indizien vor. Die Klägerin habe keinem maßgeblichem Weisungsrecht unterlegen. Bei den Vorgaben hinsichtlich Ort (Wohnung des Patienten) und Zeit der Pflegetätigkeit handle es sich um das gesamte Berufsbild des ambulanten Altenpflegers prägende Umstände, die nicht für die Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status herangezogen werden könnten. Die Zusammenarbeit der Klägerin mit anderen Pflegekräften der Beigeladenen sei eine in der Pflege übliche und notwendige Vorgehensweise. Dass die Klägerin als „Teil einer Kette“ von Pflegepersonen eingesetzt worden sei, bedeute noch keine Eingliederung in eine fremde, vorgegebene betriebliche Ordnung.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte einen Verstoß gegen § 7 Abs 1 SGB IV. Die Klägerin sei über den Dienstplan in die betriebliche Ordnung der Beigeladenen eingegliedert gewesen.
Die Revision der Beklagten ist erfolgreich gewesen.
Die Klägerin war als ambulante Altenpflegerin in der Intensivpflege beim beigeladenen Pflegedienst abhängig beschäftigt und damit versicherungspflichtig. Für die Beurteilung gelten keine anderen Maßstäbe als der Senat bereits zur vergleichbaren Tätigkeit von Honorarpflegekräften in stationären Pflegeeinrichtungen entschieden hat (zB BSG Urteil vom 7.6.2019 – B 12 R 6/18 R – BSGE 128, 205 = SozR 4-2400 § 7 Nr 44). Danach ist eine Gesamtwürdigung maßgeblich, in der insbesondere die Eingliederung in die Arbeitsorganisation in den Blick zu nehmen ist. Denn auch bei eingeschränktem Weisungsrecht kann die Dienstleistung fremdbestimmt sein, wenn sie ihr Gepräge von der Ordnung des Betriebes erhält, in deren Dienst die Arbeit verrichtet wird und sich daher als „funktionsgerecht dienende Teilhabe am Arbeitsprozess“ darstellt. Bei Vertragsgestaltungen, in denen – wie hier – die Übernahme einzelner Dienste jeweils frei vereinbart wird, ist dabei auf die jeweiligen Einzelaufträge abzustellen. Das Weisungsrecht bestand zumindest insoweit, als der konkrete Inhalt, die Durchführung und die Dauer der von der Pflegekraft geschuldeten fachgerechten Pflege der näheren Konkretisierung bedurften. So war neben der Zuweisung zu einem bestimmten Patienten in dessen Wohnung die Arbeitsleistung im Wesentlichen nach Maßgabe der Pflegeplanung und im arbeitsteiligen Zusammenwirken mit den anderen Mitarbeitern des Pflegedienstes zu erbringen. In die Arbeitsabläufe des Pflegedienstes war die Pflegekraft insbesondere über den Dienstplan eingegliedert. Diesen erstellte der Pflegedienst und ordnete die Pflegekraft mit ihren Schichten ein.
Nach Auftragsannahme war die Klägerin mithin wie die beim Pflegedienst angestellten Pflegekräfte an den Dienstplan gebunden. Zudem setzen die regulatorischen Vorgaben (§ 71 Abs 1 SGB XI, Rahmenempfehlungen nach § 132a SGB V) einen hohen Organisationsgrad zur Qualitätssicherung voraus. Aus diesen Rahmenbedingungen folgt für den Regelfall die Eingliederung von Pflegefachkräften in die Organisations- und Weisungsstruktur des ambulanten Pflegedienstes. Dass die daraus folgende Einbindung als „Teil einer Kette“ von Pflegepersonen den regulatorischen Vorgaben entspricht und die notwendige Abstimmung in der Pflege überdies „in der Natur der Sache“ liegt, führt nicht dazu, dass diese Aspekte bei der Gesamtwürdigung außer Acht zu lassen sind.
Quelle: Terminsbericht des BSG vom 20.10.2021
Kategorie: Arbeitsrecht, Pflege & Recht, Sozialrecht, 25. Oktober 2021
Ansprechpartner:
- Peter Sausen
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- Matthias Ecks
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