Ein Ersterrichtungsanspruch eines Wohnungseigentümers wird bei einem sogenannten steckengebliebenen Bau erst begründet, wenn mindestens ein Erwerber die Stellung eines (werdenden) Wohnungseigentümers erlangt hat.

Ein Ersterrichtungsanspruch eines Wohnungseigentümers wird bei einem sogenannten steckengebliebenen Bau erst begründet, wenn mindestens ein Erwerber die Stellung eines (werdenden) Wohnungseigentümers erlangt hat.


Der Fall:

Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Im Jahr 2013 wurde die GdWE gegründet, wobei die Wohnungseigentümer Werkverträge mit einer GmbH als Generalbauunternehmerin abschlossen. Die Bauarbeiten kamen jedoch während des Abrisses zum Stillstand, und die Generalbauunternehmerin ist inzwischen insolvent. Die übrigen Eigentümer, abgesehen von der Klägerin, klagen gegen die Generalbauunternehmerin.

Die Klägerin möchte, dass die GdWE die Bauarbeiten fortsetzt und forderte in einer Eigentümerversammlung im September 2021, die Verwalterin mit der Beschaffung von Angeboten für die weiteren Abbrucharbeiten und die Erstellung der Ausführungspläne zu beauftragen und eine Sonderumlage in Höhe von 50.000 € zu erheben. Diese Anträge wurden abgelehnt.

Das Amtsgericht wies die Klage der Klägerin ab, jedoch ersetzte das Landgericht den Beschluss und ordnete die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den voraussichtlichen Kosten an. Die Verwalterin wurde beauftragt, Angebote einzuholen und die GdWE zur Beschlussfassung über die Vergabe des Auftrags und dessen Finanzierung verpflichtet. Die beklagte GdWE legt nun Revision ein, gegen die die Klägerin die Zurückweisung beantragt.

Das Berufungsurteil wird vom zuständigen V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs aufgehoben und das Verfahren zur neuen Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, da noch weitere Feststellungen getroffen werden müssen.

Die Entscheidung des BGH:

Der Anspruch auf die erstmalige Errichtung des Gemeinschaftseigentums ist ein zentraler Bestandteil des Wohnungseigentumsrechts. Jeder Wohnungseigentümer kann diesen Anspruch geltend machen, wobei das Sondereigentum ausgenommen bleibt. Solche Ansprüche entstehen jedoch erst, wenn die Erwerber als (werdende) Wohnungseigentümer gelten, was eine Eintragung ins Grundbuch oder die Übergabe der Räume voraussetzt. Bis dahin bestehen lediglich vertragliche Ansprüche gegenüber dem Bauträger.

Auch bei einem sogenannten „steckengebliebenen Bau“, also einem Bauvorhaben, das nicht fertiggestellt wurde, bleibt der Anspruch auf Errichtung des Gemeinschaftseigentums bestehen, unabhängig vom Fertigstellungsgrad des Gebäudes. Das Berufungsgericht stellte hierzu klar, dass eine analoge oder direkte Anwendung von § 22 WEG – der zerstörte Gebäude betrifft – auf steckengebliebene Bauten unzulässig ist. Diese Vorschrift schützt Eigentümer vor erneuten erheblichen finanziellen Belastungen, was auf steckengebliebene Bauten, bei denen meist nur anteilige Zahlungen erfolgt sind, nicht zutrifft. Der Senat betont, dass eine rechtliche Lücke nicht vorliegt und daher keine Analogie geboten ist.

Die rechtliche Grundlage für die Abwehr des Anspruchs auf Errichtung kann jedoch in der Unzumutbarkeit gemäß § 242 BGB liegen. Ein solcher Anspruch kann ausgeschlossen sein, wenn seine Erfüllung für die übrigen Eigentümer unzumutbar ist. Während anfängliche Mängel eines plangerecht errichteten Gebäudes stets beseitigt werden müssen, besteht diese Pflicht bei der erstmaligen Errichtung des Gemeinschaftseigentums nicht in jedem Fall. Hierbei kommt es auf eine Gesamtabwägung der Interessen an, die sowohl bauwillige als auch nicht bauwillige Eigentümer berücksichtigt.

Gerichte sind in der Pflicht, eigenständig über die Unzumutbarkeit solcher Ansprüche zu entscheiden. Dies ist keine Ermessensfrage der Wohnungseigentümergemeinschaft, sondern bedarf einer rechtlichen Wertung durch das Gericht. Eine gerichtliche Entscheidung schafft Rechtssicherheit und verhindert weitere Streitigkeiten oder Verzögerungen durch Anfechtungen innerhalb der Eigentümergemeinschaft. Eine klare Abgrenzung und rechtssichere Bewertung fördern sowohl die Interessen der Gemeinschaft als auch die Durchsetzbarkeit der Rechte einzelner Eigentümer.

Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Für das weitere Verfahren hat der BGH auf folgende Punkte hingewiesen:

Es soll geprüft werden, ob der Errichtungsanspruch aufgrund rechtlicher Unmöglichkeit gemäß § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist. Das Fehlen einer Baugenehmigung könnte hierfür nicht ausreichen; entscheidend sei, ob das Bauvorhaben grundsätzlich genehmigungsfähig ist.

Der Stand des Insolvenzverfahrens der Generalbauunternehmerin sei zu berücksichtigen. Es könne treuwidrig sein, die Beklagte zur Errichtung des Bauvorhabens zu verpflichten, wenn der Klägerin Ansprüche gegen den Insolvenzverwalter der Generalbauunternehmerin zustehen könnten.

Falls der Errichtungsanspruch nicht ausgeschlossen ist, habe das Berufungsgericht zu prüfen, ob die Erstherstellung des Gebäudes unzumutbar ist. Dies hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie den bereits getätigten Investitionen, den voraussichtlichen Kosten und möglichen Ersatzansprüchen Dritter. Dabei habe das Gericht auch alternative wirtschaftliche Lösungen, wie den Verkauf des Gebäudes an einen Investor, in Betracht zu ziehen. Regelmäßig spreche für eine Unzumutbarkeit der Ersterrichtung, wenn es zu Kostensteigerungen von über 50 % des ursprünglich Kalkulierten kommt.

Der Fall könnte durch die Bestimmungen der Teilungserklärung zur Wiederaufbaupflicht beeinflusst werden, wenn eine Versicherung fehlt, und die gestiegenen Kreditkosten sowie Zusatzkosten für Nachbargebäude sind ebenfalls relevant.

Praxishinweis:

Der sog. „steckengebliebene Bau“ ist zurzeit eines der aktuellsten Probleme des Bauträgerrechts, vor allem, wenn Wohnungen gebaut werden und Wohnungseigentümergemeinschaften entstehen sollen. Oft wissen Käufer nicht, welche Möglichkeiten bestehen, wenn der Bauträger das Verfahren nicht fortsetzt, sei es, dass er Insolvenz anmeldet oder einfach nicht weiterbaut. In Betracht kommen z.B. Erfüllungsansprüche des einzelnen Käufers oder aber Ersterrichtungsansprüche auf Ebene der WEG. Angesichts der hochkomplexen Materie ist in solchen Konstellationen mit Bedacht vorzugehen. Vieles ist noch nicht höchstrichterlich entschieden.

Die hier vorgestellte Entscheidung des BGH ist allerdings in Bezug auf etwaige Ersterrichtungsansprüche auf Ebene der WEG bedeutsam. Die dort genannten Kriterien sind bei strategischen Überlegungen auf Käuferseite zu berücksichtigen.

Kategorie: Bau- und Architektenrecht, Gewerbliches Miet- und Wohnraummietrecht, Werkvertragsrecht, 10. Januar 2025



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