BGH zur Bestimmung eines Referenzzinsatzes bei Prämiensparverträgen
Bundesgerichtshof (BGH)
Urteil vom 24.01.2023 – XI ZR 257/21
Der BGH hat seine Rechtsprechung zu Zinsänderungsklauseln in Prämiensparverträgen (Urteil vom 06.10.2021 XI ZR 234/20) bestätigt und unter anderem entschieden, dass Zinsanpassungen unter Beibehaltung des anfänglichen relativen Abstandes des Vertragszinses zum Referenzzinssatz nach der Verhältnismethode vorzunehmen seien.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die beklagte Sparkasse schloss seit 1990 mit Verbrauchern sogenannte Prämiensparverträge ab, die eine variable Verzinsung der Spareinlage und ab dem dritten Sparjahr eine der Höhe nach – ab dem 15. Sparjahr bis zu 50 % der jährlichen Spareinlage – gestaffelte verzinsliche Prämie vorsehen. In den Vertragsformularen heißt es unter anderem:
„Die Spareinlage wird variabel, z.Zt. mit …% p.a. verzinst.“
oder
„Die Sparkasse zahlt neben dem jeweils gültigen Zinssatz, z.Zt. …%, am Ende eines Kalender-/ Sparjahres.“
In den in die Sparverträge einbezogenen „Bedingungen für den Sparverkehr“ heißt es weiter:
„Soweit nichts anderes vereinbart ist, vergütet die Sparkasse dem Kunden den von ihr jeweils durch Aushang im Kassenraum bekannt gegebenen Zinssatz. Für bestehende Spareinlagen tritt eine Änderung des Zinssatzes, unabhängig von einer Kündigungsfrist, mit der Änderung des Aushangs in Kraft, sofern nichts anderes vereinbart ist.“
Der Musterkläger hält die Regelungen zur Änderung des variablen Zinssatzes für unwirksam und die während der Laufzeit der Sparverträge von der Musterbeklagten vorgenommene Verzinsung der Spareinlagen für zu niedrig. Er verfolgt mit seiner Musterfeststellungsklage mehrere Feststellungsziele:
- Unwirksamkeit der Zinsänderungsklausel
- Bestimmung eines Referenzzinsatzes
- Verpflichtung der Beklagten, die Zinsanpassung nach der Verhältnismethode vorzunehmen
- Fälligkeit von auf Zahlung gerichteten Verbraucheransprüchen frühestens ab wirksamer Beendigung der Sparverträge
- Kenntnis der Höhe der tatsächlich vorgenommenen Zinsgutschriften im Sparbuch setzt nicht den Verjährungslauf in Gang
- Widerspruchslose Hinnahme der Zinsgutschriften begründet keinen Umstandsmoment für eine Verwirkung der Verbraucheransprüche auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen
Das Oberlandesgericht (OLG) gab der Musterfeststellungsklage teilweise statt. Der Musterkläger verfolgte seine Feststellungsziele mit der Revision weiter, soweit das OLG die Klage betreffend die Bestimmung eines Referenzzinssatzes und die Vornahme der Zinsanpassungen nach der Verhältnismethode abgewiesen hat. Die Musterbeklagte verfolgt mit der Revision ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage betreffend die Bestimmung eines Referenzzinsatzes weiter.
Der BGH bestätigte hierauf seine mit Urteil vom 06.10.2021 (XI ZR 234/20) ergangene Rechtsprechung. Auf die Revision des Musterklägers hob der zuständige Senat das Musterfeststellungsurteil des OLG auf, soweit dieses keinen für die Höhe der variablen Verzinsung maßgebenden Referenzzinsatz bestimmt hat. Die Sache sei demzufolge zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückzuverweisen. Die Zinsanpassungen von der Musterbeklagten seien unter Beibehaltung des anfänglichen relativen Abstandes des Vertragszinses zum Referenzzinssatz nach der Verhältnismethode vorzunehmen.
Das vorinstanzliche OLG sei fehlerhaft davon ausgegangen, es könne keinen Referenzzinsatz im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geben, weil im Verfahren über die Musterfeststellungsklage nicht auszuschließen sei, einzelne Sparverträge enthielten individuelle Vereinbarungen. Hierauf führt der BGH aus, solche Individualvereinbarungen seien nur in den Klageverfahren zwischen den Verbrauchern und der Musterbeklagten zu berücksichtigen und schließen die Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils nach § 613 Absatz 1 ZPO, nicht aber die Vornahme einer ergänzenden Vertragsauslegung im Musterfeststellungsverfahren aus. Nach dem Konzept der auf ein langfristiges Sparen angelegten Sparverträge sei es interessengerecht, als Referenz für die Verzinsung der Spareinlagen einen Zinssatz oder eine Umlaufrendite mit langer Fristigkeit heranzuziehen. Bei der Bestimmung des Referenzzinssatzes werde das OLG außerdem zu berücksichtigen haben, dass es sich bei den Sparverträgen um eine risikolose Anlageform handelt. Nach der vom Senat vorgenommenen ergänzenden Vertragsauslegung sei bei den Zinsanpassungen der anfängliche relative Abstand des Vertragszinssatzes zum Referenzzinssatz beizubehalten. Nur eine solche Auslegung gewährleiste, dass das Grundgefüge der Vertragskonditionen über die gesamte Laufzeit der Sparverträge erhalten bleibe, so dass günstige Zinskonditionen günstige und ungünstige Zinskonditionen ungünstig bleiben. Dass sich die absolute Zinsmarge der Musterbeklagten bei Anwendung der Verhältnismethode im Fall eines Anstiegs des Referenzzinssatzes erhöht und im Fall eines Absinkens des Referenzzinssatzes reduziert, verstoße nicht gegen die Grundsätze des Preisanpassungsrechts, weil die Musterbeklagte keinen Einfluss auf die Höhe der Zinsanpassungen habe.
Kategorie: Bank- und Kapitalmarktrecht, 01. Februar 2023
Ansprechpartner:
- Atif Yildirim
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