Zur Einordnung von Gerüstarbeiten als Arbeits- oder Schutzgerüst für die Geltendmachung von Vergütungsansprüchen

Zur Einordnung von Gerüstarbeiten als Arbeits- oder Schutzgerüst für die Geltendmachung von Vergütungsansprüchen


Landgericht (LG) Karlsruhe
Urteil vom 28.06.2023 – 6 O 71/21

Das LG Karlsruhe hat entschieden, dass bei der Abrechnung von Gerüstbauarbeiten als Arbeits- oder Schutzgerüst die vom Gerüst zu erfüllende Funktion maßgeblich ist: Es ist diejenige Gerüstart aufzumessen, mit der die Arbeiten vollumfänglich ausgeführt werden können. Sind im Schwerpunkt Dachsanierungsarbeiten vorzunehmen, kann die Auslegung dann zur umfassenden Anwendung der Regelungen für Schutzgerüste führen. In Zweifelsfällen kann es geboten sein, eine eindeutige Vereinbarung über die Abrechnung der beauftragten Gerüstbauarbeiten zu treffen.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin ist ein Gerüstbauunternehmen. Die Beklagte (Gemeinde) hat die Klägerin am 19.05.2020 auf der Grundlage eines Angebots vom 25.03.2020 unter Einbeziehung der VOB mit Gerüstbauarbeiten für das Bauvorhaben „Sanierung H.-Realschule – Dachsanierungsarbeiten“ beauftragt. Entsprechend der Leistungsbeschreibung der Beklagten verwiesen die hierzu erforderlichen (streitgegenständlichen) Standgerüste vorliegend einerseits auf Breiten- und Lastklassen, mithin auf Arbeitsgerüste. Ebendiese Standgerüste seien andererseits zudem für alle Arbeiten im Dach- und Dachrandbereich des Gebäudes als Fanggerüste mit der Fanglage (FL) 2 auszuführen.

Nach Ausführung der Arbeiten im Sommer/Herbst 2020 rechnete die Klägerin ihre Leistungen am 03.12.2020 unter Berücksichtigung vorangegangener Zahlungen ab. Die Beklagte kürzte die Schlussrechnung. Die Parteien streiten mit der Maßgabe, die Abrechnung müsse – so die klagende Partei – nach den Grundsätzen für Schutzgerüste erfolgen, während die beklagte Partei meint, die Klägerin habe das streitgegenständliche Standgerüst lediglich als Arbeitsgerüst aufgestellt; dies rechtfertige die Kürzung der Schlussrechnung.

Die Beklagte trägt vor, die Kürzungen seien berechtigt erfolgt. Aufgrund der konkreten Art und Weise der Ausschreibung des Gerüsts und der Abgabe eines hiermit übereinstimmenden Angebots sei faktisch eine vertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien getroffen worden, weshalb es aus Rechtschutzgründen schon gar nicht auf eine Unterscheidung ankomme, ob das streitgegenständliche Gerüst auch als Schutzgerüst oder lediglich Fassadengerüst (d.h. Arbeitsgerüst) oder etwa als gemischt genutztes Gerüst ausgeschrieben sei. Es sei demzufolge allein deshalb eine Aufmaßnahme und Abrechnung lediglich als Arbeitsgerüst möglich. Die vertraglichen Vereinbarungen zu Aufmaßnahme und Vergütung gingen allen anderen Abrechnungsregeln vor.

Die Klägerin trägt vor, ihre Abrechnung sei ordnungsgemäß. Sie habe das Standgerüst nicht nur als Arbeits-, sondern auch als Schutzgerüst für Dachdecker entsprechend dem Leistungsverzeichnis der Beklagten erbaut, wobei sie zutreffend die maßgebliche DIN 18451 Ziffern 5.2.1. und 5.2.3 zugrunde gelegt und demzufolge im Aufmaß ordnungsgemäß abgerechnet habe.

Die Klägerin wendet sich nunmehr im Klageweg gegen die Kürzungen seitens der Beklagten hinsichtlich der streitgegenständlichen Standgerüste im Außenbereich in Höhe von rund € 6.000, – brutto. Mit Erfolg.

Nach Auffassung des LG Karlsruhe stehe der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Restzahlung gemäß § 631 Absatz 1 BGB in Verbindung mit § 16 VOB/B (2016) zu. Nach den gemäß VOB/C anzuwendenden DIN 18451 sowie DIN 4420-1 und 4420-3 handele es sich bei den von der Klägerin errichteten Gerüste im Ergebnis um Schutzgerüste. Die Abrechnung für die Gerüstbauarbeiten sei entsprechend der Regelungen für Schutzgerüste zu erfolgen, weshalb das Aufmaß und die Abrechnung der Klägerin zutreffend seien.

Nach Abschnitt 0.2 der DIN 18451 sei für die Einordnung eines Gerüsts als Arbeits- oder Schutzgerüst zunächst auf die Ausschreibung im Leistungsverzeichnis abzustellen. Aus den Ausschreibungsunterlagen müsse hervorgehen, in welchem Umfang die ausgeschriebene Leistung auszuführen ist, d.h. welche Abrechnungseinheit für die jeweils beschriebene Position zu verwenden ist. Dabei erfolge die Abrechnung getrennt nach Bauart und Verwendungszweck. Bei der Angabe der Verwendungsart sei die vom Gerüst zu erfüllende Funktion ausschlaggebend, also ob es der Ausführung von Arbeiten (Arbeitsgerüst) oder der Absturzsicherung und dem Schutz von Arbeitern, Passanten, Gerätschaften, u. a. vor herabfallenden Gegenständen oder Bauteilen (Schutzgerüst), dient.

Arbeitsgerüste seien sodann gemäß DIN EN 12811 in Last- und Breitenklassen einzuordnen. Bei Schutzgerüsten werde zusätzlich eine Klassifizierung der Fanglagen und Schutzwände gemäß DIN 4420-1 in zwei Klassen verlangt. Vorliegend verwiesen die streitgegenständlichen Standgerüste auf Breiten- und Lastklassen, mithin auf Arbeitsgerüste. Diese Standgerüste seien jedoch zudem laut Leistungsbeschreibung für alle Arbeiten im Dach- und Dachrandbereich des Gebäudes als Fanggerüste mit der Fanglage (FL) 2 auszuführen. Dass die Gerüste vorliegend für unterschiedliche Phasen des Bauablaufs hintereinander verschiedene Funktionen erfüllen sollten (z.B. in der Rohbauphase als Schutzgerüst, bei der Fertigstellung der Fassade als Arbeitsgerüst und für Tätigkeiten am und auf dem Dach als Arbeits- und Schutzgerüst) lasse sich hieraus nicht erschließen.

Die von der Auftraggeberin (Beklagten) verwendeten Angaben im Leistungsverzeichnis seien daher unklar und zu keinem von der Auftragnehmerin (Klägerin) zu tragendem Risiko geworden. Eine eindeutige vertragliche Vereinbarung über die konkrete Abrechnung als Schutzgerüst oder als Arbeitsgerüst finde sich daher weder in dem Auftrag noch in dem Leistungsverzeichnis. Da es sich vorliegend ausweislich des Auftrags und der allgemeinen Baubeschreibung an der H. Realschule in W. um „Arbeiten der Dachsanierung“ handele, würden einerseits Arbeiten ausgeführt, jedoch zugleich eine besondere Schutzwirkung für diese vorzunehmenden Arbeiten verlangt.

Es bestünden daher keine Zweifel, dass die Standgerüste als Schutzgerüste zu qualifizieren seien und die Abrechnung der Klägerin entsprechend ordnungsgemäß sei. Der Klägerin stehe damit der geltend gemachte Anspruch auf Restzahlung gemäß § 631 Absatz 1 BGB in Verbindung mit § 16 VOB/B (2016) zu.

Kategorie: Bau- und Architektenrecht, Werkvertragsrecht, 19. Oktober 2023

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