Keine Entgeltfortzahlung bei selbstverschuldeter AU

Keine Entgeltfortzahlung bei selbstverschuldeter AU


Arbeitsunfähigkeit   Trifft den Arbeitnehmenden ein Verschulden an seiner Arbeitsunfähigkeit, besteht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Nach einer Tätowierung muss damit gerechnet werden, dass sich die tätowierte Hautstelle entzündet. Diese Komplikation wird billigend in Kauf genommen, weshalb ein Verschulden angenommen wird.

 Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 22.5.2025 – 5 Sa 284 a/24

Ein Arbeitnehmer hat nach § 3 Abs. 1 S.1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. Über § 3 EntgFG soll einerseits der Arbeitnehmer bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit finanziell abgesichert werden, anderseits soll der Arbeitgeber keine Belastungen bei durch den Arbeitnehmer verschuldeter Arbeitsunfähigkeit tragen müssen. Hieraus folgt eine Obliegenheit und ein Eigeninteresse des Arbeitnehmers, die Gesundheit zu erhalten und zur Arbeitsunfähigkeit führende Umstände zu vermeiden. Der Ausschluss der Entgeltfortzahlung bei selbstverschuldeter Arbeitsunfähigkeit führt immer wieder zu Streit. Mehr und mehr rücken kosmetische Operationen sowie medizinische Komplikationen bei Piercings und Tätowierungen in den Fokus. Mit seiner Entscheidung hat sich das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein zur Frage des Verschuldens bei medizinischen Komplikationen nach einer Tätowierung positioniert.

Keine Lohnfortzahlung nach Tattoo-Komplikation

Eine Pflegehilfskraft ließ sich am 15.12.2023 ein Tattoo am Unterarm stechen. In der Folge entzündete sich die tätowierte Stelle. Am 19.12.2023 teilte die Mitarbeiterin der Pflegedienstleitung mit, dass sie bis zum 22.12.2023 aufgrund der Entzündung krankgeschrieben sei und reichte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für diesen Zeitraum ein. Weitere Krankheitstage schlossen sich bis zum 28. Dezember an. Die Arbeitgeberin zahlte mit dem Hinweis auf eine verschuldete Arbeitsunfähigkeit für die Tage 20.12.2023 bis 22.12.2023 und 27.12.2023 bis 28.12.2023 keine Vergütung. Nachdem die Arbeitgeberin auch auf ein Schreiben vom 29.1.2024 hin keine Nachzahlung leistete, erhob die Mitarbeiterin am 15.3.2024 Klage vor dem zuständigen Arbeitsgericht. Sie forderte Entgeltfortzahlung gem. § 3 EntgFG für die Krankheitstage.

Klage vor dem Arbeitsgericht

Die Mitarbeiterin vertrat vor Gericht die Auffassung, sie habe für die Krankheitstage Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Sie mache nicht Entgeltfortzahlung für den Zeitraum des Tätowierungsvorgangs geltend, sondern für eine davon zu trennende zeitlich nachfolgende Entzündung. Ihr sei kein Verschulden im Sinne des § 3 Abs. 1 S.1 EntgFG vorzuwerfen. Es habe sich ein sehr geringes Risiko, das nur bei 1% bis 5% der Fälle von Tätowierungen auftrete, verwirklicht. Sie habe nicht damit rechnen müssen, dass eine Infektion auftreten würde, da es sich bei der Entzündung um eine unübliche Folgeerkrankung gehandelt habe. Tätowierungen seien zudem als Teil der privaten Lebensführung geschützt und mittlerweile weit verbreitet. Genau wie beim Ausüben von verletzungsanfälligen Sportarten, führe es nicht zum Ausschluss des Entgeltfortzahlungsanspruchs, wenn sich ein geringes Risiko für eine Verletzung oder eine Folgeerkrankung verwirkliche. Die Arbeitgeberin argumentierte demgegenüber, die Mitarbeiterin habe die Erkrankung selbst verschuldet. Sie habe in eine gefährliche Körperverletzung eingewilligt. Das Risiko einer sich an eine Tätowierung anschließenden Infektion gehöre nicht mehr zum normalen Krankheitsrisiko und könne daher nicht der Arbeitgeberin aufgebürdet werden.

Arbeitgeberin erhielt Recht

Sowohl das Arbeitsgericht Flensburg, als auch das LAG Schleswig-Holstein wiesen die Klage der Mitarbeiterin ab, da die Arbeitsunfähigkeit selbstverschuldet war. Schuldhaft i.S.v. § 3 EntgFG handelt der Arbeitnehmer, der in erheblichem Maße gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhaltensweise verstößt. Es gilt daher festzustellen, ob ein „Verschulden gegen sich selbst“ vorliegt. Auszugehen ist von einem objektiven Maßstab. Erforderlich ist ein grober oder gröblicher Verstoß gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen und damit ein besonders leichtfertiges oder vorsätzliches Verhalten. Ob ein die Entgeltfortzahlung ausschließendes Verschulden des Arbeitnehmers vorliegt, ist aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.

Erkrankung schuldhaft herbeigeführt

Nach diesen Grundsätzen hat die Mitarbeiterin die zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung, nämlich die durch die Infektion hervorgerufene Entzündung, schuldhaft herbeigeführt. Die Mitarbeiterin hat nicht nur die eigentliche Tätowierung vorsätzlich herbeiführen lassen. Es ist bedingter Vorsatz der Mitarbeiterin auch auf die durch die Tätowierung erfolgten Kompli- kationen anzunehmen. Die Mitarbeiterin musste bei Durchführung der Tätowierung damit rechnen, dass als Komplikation eine Entzündung der tätowierten Stelle auftreten würde. Damit ist zugleich ein grober Verstoß gegen das Eigeninteresse der Mitarbeiterin, ihre Gesundheit zu erhalten, gegeben. Das folgt daraus, dass die Mitarbeiterin im Verfahren selbst vorgetragen hat, in bis zu 5 % der Fälle komme es nach Tätowierungen zu Komplikationen in Form von Entzündungsreaktionen. Damit handelt es sich nicht mehr um eine völlig fernliegende Komplikation. Bei Medikamenten wird eine Nebenwirkung als „häufig“ angegeben, wenn diese in mehr als 1 % aber weniger als 10 % der Fälle auftritt. Eine Entzündung als Komplikatin nach einer Tätowierung ist demnach als „häufig“ einzustufen. Bei medizinisch nicht indizierte Maßnahmen ist ein Verschulden bei Komplikationen nur dann zu verneinen, wenn Komplikationen eintreten, mit deren Eintritt nicht gerechnet werden muss. Die Entgeltfortzahlung wurde zurecht verweigert.

 

Kategorie: Kanzlei, 12. November 2025



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