Kündigung ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats stellt grobe Pflichtverletzung dar

Kündigung ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats stellt grobe Pflichtverletzung dar


Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen, Beschluss vom 08.08.2022 – 16 TaBV 191/21

Das Landesarbeitsgericht Hessen hat entschieden, dass Kündigungen ohne vorherige Anhörung des Betriebsrates nach § 102 Abs. 1 BetrVG eine grobe Pflichtverletzung des Arbeitgebers nach § 23 Abs. 3 BetrVG darstellen kann. Dabei ist es unerheblich, dass nach dem Vortrag des Arbeitgebers zum fraglichen Zeitpunkt die Personalabteilung von vielen Vorgesetztenwechseln geprägt gewesen sei und noch keine „eingeschwungene Praxis“ beim Ausspruch von Kündigungen bestanden habe.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Ende Februar 2019  wurde vom Arbeitgeber eine Kündigung ausgesprochen, ohne dass der Betriebsrat vorher angehört wurde. Der Verstoß der vorherigen Anhörung und verschiedene Verstöße gegen § 99 Abs. 1 BetrVG wurden vom Betriebsrat mit Schreiben vom 16.04.2019 beanstandet. Der Arbeitgeber teilte dem Betriebsrat den Grund für die unterbliebene Anhörung mit und dass die Kündigung in Abstimmung mit dem Rechtsbeistand des betroffenen Arbeitnehmers und auf dessen Wunsch ausgesprochen wurde. Der Arbeitgeber erklärte Ende September 2020 sechs weitere krankheitsbedingte Kündigungen, ohne dass er den Betriebsrat zuvor beteiligte. Der Arbeitgeber entschuldigte die unterbliebene Anhörung mit einem Versehen des zuständigen Sachbearbeiters der Personalabteilung. Er versicherte dem Betriebsrat, dass dieser -außer in den Fällen, in denen die Kündigung auf Wunsch des Arbeitnehmers ausgesprochen werde- künftig zu jeder Kündigung angehört werde. Daraufhin beantragte der  Betriebsrat beim Arbeitsgericht einen Unterlassungsanspruch des Arbeitgebers, Kündigungen auszusprechen, ohne zuvor den Betriebsrat nach § 102 BetrVG zu beteiligen. Der Antrag wurde vom Arbeitsgericht zurückgewiesen. Auf die Beschwerde des Antragstellers hin, wurde der Beschluss durch das Landesarbeitsgericht abgeändert und dem Antrag wurde stattgegeben.

Aus Sicht des Landesarbeitsgerichts lag ein grober Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtungen aus dem BetrVG vor. Ein grober Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtung aus dem BetrVG sei schon  Ende Februar 2019 bei der Kündigung des Arbeitnehmers ohne vorherige Anhörung des Betriebsrates vorgelegen. Unerheblich sei, dass der Rechtsbeistand im Rahmen von Aufhebungsverhandlungen darum gebeten hatte, eine Kündigung auszusprechen. Eine Anhörung des Betriebsrates hätte dennoch durchgeführt werden müssen.  Zudem hätte der Arbeitgeber gem. § 102 Abs. 1 BetrVG die Pflicht gehabt, den Betriebsrat im September 2020 vor der Aussprache der sechs Kündigungen  anzuhören. Es sei unerheblich, dass die Personalabteilung von vielen Vorgesetztenwechseln geprägt gewesen sei und noch keine „eingeschwungene Praxis“ beim Ausspruch von Kündigungen bestanden habe. Der Personalsachbearbeiter hätte im Rahmen der von ihm vorzunehmenden Einzelfallbearbeitung ohne weiteres erkennen können, dass der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigungen anzuhören ist. Die vorherige Anhörung des Betriebsrates gem. § 102 Abs. 1 BetrVG sei eines der wesentlichen Beteiligungsrechte des Betriebsrates. Die festgestellte grobe Pflichtverletzung indizierte die Wiederholungsgefahr, da es jederzeit wieder vorkommen könne, dass der Betriebsrat nicht vor der Aussprache der Kündigung angehört wird. Zudem konnte die Zusicherung des Arbeitgebers, künftig betriebsverfassungswidriges Verhalten zu unterlassen, die Wiederholungsgefahr nicht ausschließen.

Quelle: otto-schmidt, News, Arbeits- und Sozialrecht vom 28.10.2022

 

Kategorie: Arbeitsrecht, 22. November 2022



zurück